von Hubert Schierl
Da haben wir nun also die Pfarrstelle Straßberg zugewiesen bekommen als erste Stelle eines künftigen „Pfarrvikars“ und späteren Ortspfarrers. Zunächst: Keine Ahnung, wie das gehen soll. Noch bin ich auf dem Predigercolleg in Leipzig, noch gibt es Sorgen um den Vater Hans, der nach seiner Rückkehr nach Rumänien in Oradea operiert werden musste und nun noch immer sehr krank dort in der Klinik liegt. Anne ist mit dem winzigen Sebastian auch ziemlich abgeschnitten von der Welt, sie sitzt in Oelsnitz fest und derweil wartet das Pfarrhaus in Straßberg darauf, dass es bezogen werden soll. Zum Glück gibt es den Helmut, unseren Schwager aus Großschenk in Siebenbürgen. Der hatte sich rechtzeitig um eine Reisegenehmigung in die DDR bemüht, die ihm auch bewilligt wurde und nun kann er bei uns sein. Er ist ja ein Handwerker durch und durch, der auch mal was improvisieren kann. Gelernt hat er wohl Maurer, aber nun arbeitet er als Tischler und ist somit mit fast allen Gewerken vertraut. Das ist unsere Rettung!
Also quartieren wir ihn in Straßberg ein, sorgen dafür, dass er im Gasthof immer eine warme Mahlzeit bekommt und auch sein Bier dazu trinken kann, geben ihm alle nur mögliche Freiheit, unsere künftige Wohnung so herzurichten, dass wir uns dort halbwegs wohlfühlen werden. Viel Geld haben wir nicht und auch die Kirchgemeinde ist nicht sonderlich spendabel. So will man zum Beispiel gar nicht verstehen, dass der „herkömmlich in gutem Zustand vorhandene“ Kohleherd in der Küche nicht mehr so ganz den Ansprüchen einer jungen Familie des Jahres 1974 entspricht. Wir lassen den trotzdem auf den Oberboden verfrachten, weil man ja nichts wegwerfen darf und beauftragen den Herrn Methner aus Oelsnitz, uns einen Propangasherd auf eigene Rechnung aufzustellen. Dazu einen „Beistellherd“, den man mit Kohle befeuert und gut ist es mit der Küche.... Gebrauchte Küchenmöbel gibt es preiswert im An- und Verkauf und selbst ein gebrauchter Kühlschrank, der nur noch neu lackiert werden muss, kann erworben werden. Also ist die Ernährungslage auch gesichert. Helmut hantiert, so gut er kann und findet sich schnell mit den ihm fremden Technologien zurecht. Tapezieren zum Beispiel ist ihm fremd, aber nach einigen Fehlversuchen klappt es ganz prima, zumindest kann er dem Maler recht gut helfen. Wir besorgen die Tapeten oft auf abenteuerlichen Wegen. So fahren wir nach Schleiz in einen Tapetenladen, weil wir dort das gefunden haben, was uns gefällt. Helmut mauert und spitzt und verputzt, was das Zeug hält und nach ca. 6 Wochen ist die Wohnung bezugsfertig. Die Öfen sind gereinigt, die Decken geweißt, die Wände tapeziert und nun müssen wir nur noch die ausgelagerten Möbel von überall her wieder einsammeln und in die neue Wohnung verbringen. Das ist z.B. bei unseren Schlafzimmermöbeln gar nicht so leicht: Die habe ich mir bei einer alten Dame im Alterskrankenhaus der Inneren Mission „erpflegt“. Ich habe dort immer mal eine Nachtwache gemacht, um das spärliche Vikariatsgehalt von 330.- M/DDR brutto etwas aufzubessern. Da kommt mir zugute, dass ich in Leipzig schon einige Jahre im Bezirkskrankenhaus „St. Georg“ gedient hatte. Die alte Dame – eine ehemalige Plauener Spitzenfabrikantin – hat mich offensichtlich in`s Herz geschlossen und bietet mir an, diese massiven Birkenholzmöbel zu übernehmen. Im ersten Moment ein Schock: So „massiv“ hatte ich mir das nicht vorgestellt.......
Aber Anne meint, das ginge schon, die Räume seien ja groß und auch hoch genug – also lasse ich mich breitschlagen und die Sachen werden nach Straßberg transportiert. Der Spediteur ist übrigens der Ehemann einer Plauener Staatsanwältin, aber das tut in dem Moment nichts zur Sache. Die Wohnzimmereinrichtung haben wir auch schon. Sie stammt, wie das Arbeitszimmer, aus dem An- und Verkauf, ist aber dafür von feinstem englischen Adel. Chipendale – man gönnt sich ja sonst nichts...............
So brauchen wir also nur noch ein paar Sachen für das Kinderzimmer. Als Wickeltisch dient uns der alte Schreibtisch vom Onkel Walter, der einst Zahnarzt in Olbernhau war und nun in Bad Hersfeld im Westen praktiziert. Der braucht ihn sowieso nicht mehr, deswegen kann er seinen Dienst bei uns tun. Der Vorteil ist: Er hat Rolltüren und ist somit sehr platzsparend. Also steht dem Familienleben im Straßberger Pfarrhaus nichts mehr im Wege. Der Winter steht vor der Tür und nun haben wir erst mal zu tun, die relativ große – weil, wie gesagt, doch recht hohe – Wohnung warm zu kriegen. Natürlich kann man die Fenster nicht mit heutigen Standards vergleichen. Es sind notdürftig ausgebesserte Kastenfenster und wir haben schon den Eindruck, dass ganz viel Wärme auf den Hof abzieht. Aber was soll's, der Keller ist voll mit Brikett und so schleppen wir halt jeden Tag die Kohlen hoch und die Asche wieder runter. Am 1. Advent soll unser Sebastian getauft werden. Da es der erste Sohn ist, möchte ich das gern selber machen und besorge mir deshalb eine Sondergenehmigung beim Landeskirchenamt. Ich bin ja noch nicht ordiniert...........
Es wird ein feierlicher Gottesdienst in der festlich geschmückten Kirche zu Straßberg und anschließend feiern wir als junge Familie unser erstes richtiges Familienfest in „eigener Regie“. Das Pfarrhaus ist voll mit lieben Gästen aus Ost und West, nur aus Rumänien kann keiner dabei sein. Das ist ein kleiner Wermutstropfen. Aber da müssen wir durch. Zu Weihnachten strahlt unser erster eigener Christbaum im Wohnzimmer und so sind wir als kleine Familie zufrieden, dass wir gut untergekommen sind. Zusammen mit unserem alten Kantor Wohlrabe habe ich das Straßberger Krippenspiel einstudiert. Ich bin froh, dass der alte Herr mich so freundlich in die Gegebenheiten einführt, hat er doch dieses Spiel selber erarbeitet und hat genaue Vorstellungen, wie es aufgeführt werden soll. Kinder und junge Leute sind reichlich vorhanden und so haben wir keinen Mangel an Mitspielern. (Übrigens: Heute, nach 40 Jahren, wird in Straßberg noch immer das gleiche Spiel unter meiner Regie gezeigt und die Mitspieler, die damals als ganz kleine Kinder angefangen haben, sind zum Teil noch heute dabei !!!) Das nächste Jahr – 1975 – soll uns auch noch so manche Überraschung bringen: Zunächst stehen aber dienstliche Dinge auf der Agenda. Wir müssen uns einfach zurecht finden lernen in so einer Dorfgemeinde am Rande von Plauen. Straßberg,Kobitzschwalde und die Possig, ein Teil von Neundorf, Kloschwitz, Kröstau und noch einige Randgebiete sind das „Jagdrevier“. Das will bewältigt sein. Ich habe mein zweites Examen zu absolvieren und bin deswegen öfter auch mal in Zwickau oder Dresden, um die nötigen Klausuren zu schreiben bzw. mündliche Prüfungen abzulegen. Anfang Juli steht die Ordination an – wieder ein Fest, diesmal aber mit der ganzen Gemeinde – und damit beginnt der eigenverantwortliche Dienst in der Kirchgemeinde. Nun müssen wir alles selber entscheiden. Zum Glück hat der Onkel Walter über „Genex“ einen wunderschönen „Trabantcombi, de luxe“ spendiert,, weiß mit rotem Dach und Chromstoßstangen, mit dem lassen sich die Entfernungen spielend bewältigen und auch der kleine Sebastian kennt schon die Vorzüge dieses Vehikels. Solange es rollt, ist er still, aber wehe es kommt eine rote Ampel …............!!!!! Irgendwann im Laufe des Frühjahres wird uns klar, das unsere Familienstärke „aufgestockt“ werden wird.
Da hat sich ein zweites Baby angemeldet. Und da es noch keinen Ultraschall und ähnliche Diagnosemethoden gibt, sind wir natürlich recht gespannt, auf was wir uns da eingelassen haben. Für Anfang November ist der Geburtstermin errechnet. Also haben wir noch etwas Zeit, den ersten Sommer mit dem Sebastian zu genießen. Im Haus und im Garten haben wir genug zu tun. Der Garten soll uns künftig helfen, einige Grundbedürfnisse in Richtung Obst und Gemüse zu decken, also wird angebaut. Bisweilen ist der Vater aus Oelsnitz als passionierter Kleingärtner auch mit von der Partie und so steht der ersten Möhrenernte schon bald nichts mehr im Wege. Auch stellen wir fest, dass die alten Apfelbäume im Grundstück noch recht passable Früchte liefern.
Und dann kommt Sonntag, der 2. November 1975. Am Nachmittag „drehen“ wir zu Fuß noch eine Runde um das Dorf und dann am Abend meint Anne, es sei nun soweit, sie möchte lieber in die Klinik. Diesmal kann ich sie selber hinfahren nach Plauen in die Melanchthonstraße. Aber dann der Schock: Links am Ende der großen Treppe ist die Pförtnerloge und da sitzt ein eher mißmutiger älterer Herr, der erst mal wissen will, was wir hier wollen. Nachdem es ihm erklärt wurde, bedeutet er uns zu warten und dann kommt eine ebenfalls nicht gerade sehr freundliche Schwester, nimmt Anne in Empfang und schickt mich einfach wieder nach Hause. Das war es dann für's Erste...........
Nun vergehen bange Stunden bis zum Montag früh und dann die erlösende Nachricht: Tobias ist auf der Welt. Er ist gesund, ihm und seiner Mutter geht es gut und dann kommt am Abend wieder das Spiel, wie beim ersten Mal: Ich schaue durch diese dumme Glasscheibe mit dem albernen Storchenvorhang, sehe ein kleines Bündel Mensch mit vom Desinfektionsmittel blau gefärbten Lippen, hinter mir stehen die anderen Leute , teils in Uniform der Sowjetarmee, die auch mal ran wollen und das war es dann zunächst..........
Nun haben wir also zwei Kinder. Und gern denke ich an den Tag, als ich Anne und Tobias aus der Klinik abholen darf. An der Wohnungstür steht der kleine Sebastian mit der Tante Ella, unserer lieben Mitbewohnerin und „Vizegroßmutter“: „Baby, Baby, Baby.............“ sind die Worte des kleinen Kerls. Er ist offensichtlich tief beeindruckt von diesem Bündel, aus dem es auch mal schreit. (Das ist der Beginn einer innigen guten Freundschaft zischen den beiden „Großen“. Max und Gottfried werden sie sich später nennen und wir werden nicht erleben, dass sie einander wehtun, auch nicht, als dann der Benjamin aus dem Duo ein Trio machen
wird.) Irgendwann im Januar wird Tobias dann im Kirchgemeinderaum getauft und nun
brauche ich keine Sondergenehmigung mehr. Ich habe als Tauftext die Geschichte vom „Kämmerer aus dem Mohrenland“ ausgesucht, von dem es am Ende heißt: „..........und er zog seine Straße fröhlich..............“ Das ist es, was ich nicht nur dem Tobias mit auf seinen Weg geben möchte. Und manchmal habe ich schon den Eindruck, dass es uns daran ein wenig fehlt: Wir ziehen unsere Straße zu wenig fröhlich, d.h.: Manchmal machen wir uns Sorgen, die wir getrost dem lieben Gott übergeben sollten.........
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