von Hubert Schierl
Fast ein Jahr sind Anne und ich nun schon verheiratet. Mein Vikariat in der Plauener Markuskirche habe ich im wesentlichen mit dem Einbau der großen Kirchenfenster zugebracht. Taufen und Trauungen darf ich noch nicht vollziehen, da ich noch nicht ordiniert und damit noch kein „richtiger“ Pfarrer bin und an die Beerdigungen läßt mich mein Chef auch nicht ran. Also lerne ich Kirchenfenster einzubauen... Zumindest der Kirchgemeinde bringt das einen billigen Handlanger ein. Auch die Ausbildung zum Katecheten (d.h. für die Erteilung des kirchlichen Religionsunterrichtes) bei der Frau Bezirkskatechetin Fritzsche (manchmal nennen wir sie auch „Bezirkskatastrophe“, weil sie uns ganz schön scheuchen kann und ganz toll schrecklich mit ihrem Diensttrabi durch die Kante fährt, vor allem um die Rechtskurven !!.), habe ich absolviert, jeweils ein halbes Jahr Zeit, um das „Handwerkszeug“ für ein Pfarrerleben zu erlernen – eigentlich schon Wanhsinn....!!!!! Aber wie hat mal einer mein er alten Lehrer in Oelsnitz vor Jahren gesagt ? „Wissen heißt wissen, wo's steht“! Und das habe ich mir gemerkt !!!!
Die Einzimmerwohnung bei der Pfarrerwitwe Brunner in Plauen mußten wir für den nächsten Vikar räumen und so sind wir vorübergehend in Oelsnitz bei den Eltern untergekommen, bis wir was Eigenes – unsere erste Pfarrstelle – kriegen. Das ist auch gut so, denn in den nächsten Wochen soll unser erstes Kind zur Welt kommen und da ist es schon ganz gut, wenn die junge Mutter ein wenig Beistand hat, zumal für mich zum Ende des Sommers die Ausbildung in Leipzig auf dem Predigercolleg St. Pauli weitergehen soll. Da denkt der Mensch, mit 7 (sieben) Jahren Studium ist es genug – falsch gedacht. Jetzt geht das alles nochmal los..... Das zweite Examen wartet und das wird vor den Gremien der Landeskirche, d.h. vor dem Herrn Landesbischof und seinen Oberlandeskirchenräten abgelegt. Eine Diensteignungsprüfung ist das sozusagen. Und dafür muß natürlich nochmal „gepaukt“ werden, denn die Herren aus dem Landeskirchenamt wollen es schon noch einmal genau wissen, was die Kandidaten für das Predigtamt auf ihren jeweiligen Hochschulen gelernt haben. Auch Latein, Griechisch und Hebräisch stehen auf der Agenda!!! Deshalb dieses halbe Jahr in Leipzig.
Damit für Anne die Trennungszeit nicht gar zu schwer sein wird, hat sich Vater Hans aus Siebenbürgen zum Besuch angesagt und will den „kleinen“ Hans auch mitbringen. Immerhin wollen die beiden schon mal nachschauen, wo die Tochter und große Schwester denn nun untergekommen ist. Es ist Ferienzeit und die beiden haben es geschafft, den Pass in die DDR zu bekommen. So darf ich sie schließlich in Dresden vom Balt-Orient-Express abholen. Schon bald auf der Heimfahrt spüre ich jedoch, dass es dem Vater Hans gar nicht so recht gut geht. Öfter mal muß ich unterwegs eine kleine Pause einlegen, er will aussteigen und sich die Beine
vertreten, wie er sagt. Ich schiebe es auf die Strapazen der Reise und die stressige Zeit vorher. Aber auch in Oelsnitz, nachdem er sich ausruhen konnte, will sein Zustand sich nicht wirklich ändern. Und dabei hatte er sich eigentlich nur gewünscht, einmal Bockwurst zu essen und Bier zu trinken bis zum Abwinken, denn diese Delikatessen gab es in Siebenbürgen nur ganz selten und wenn ja, auch nur in minderwertiger Qualität. Trotzdem gehen wir am Abend mal in die Kneipe um die Ecke, aber nach der einen Bockwurst ist schon Schluß, er mag nicht mehr. Ein wenig mehr Glück hat der „kleine“ Hans, 11 Jahre alt und ein cleveres Bürschlein. Ihn haben wir mitgenommen ins Wirtshaus zu Bockwurst und Sprudel und siehe da, am Nachbartisch sitzt der Hans Methner, der Tankstellenbesitzer und Propangasfachmann. Und dem fällt der junge Bursche auf. Spontan bekommt der „kleine“ Hans Löprich aus Martinsdorf eine Einladung, den „großen“ Hans Methner aus Oelsnitz doch mal in seiner Tankstelle zu besuchen, weil sie eben beide HANS heissen. Daraus wird sich eine innige Freundschaft entwickeln....
Um den Vater müssen wir uns allerdings große Sorgen machen. Von Tag zu Tag wird sein Zustand bedenklicher. Er kann nichts essen, hat keinerlei Freude an dem, was er erlebt und wird immer apathischer.. Letztendlich muß er zum Doktor. Ein Glück, dass es ein Gesundheitsabkommen zwischen Rumänien und der DDR gibt und wir in Oelsnitz so viele Leute kennen..... Am Ende landet der Vater Hans im Kreiskrankenhaus Oelsnitz auf dem Kirchberg gleich neben der Katholischen Kirche. Die Ärzte nehmen sich seiner mit besonderer Hingabe an, kommt es doch nicht alle Tage vor, dass ein „Ausländer“, der obendrein noch perfekt deutsch sprechen kann, in Oelsnitz behandelt wird.....
Alle damals nur mögliche Diagnostik wird gemacht und die Ärzte sind der Meinung, da sollte man mal nachschauen, indem man den Bauch einfach aufmacht. Aber der Patient weigert sich. Wenn schon Operation, dann nur zuhause und in Anwesenheit seiner Frau. Also haben die Doc's keine Chance, sie können ihn nur bis an die Halskrause mit Antibiotika abfüllen und so sein Leben bewahren. Inzwischen bin ich längst in Leipzig auf dem Predigercolleg und kann nur sporadisch über das Wochenende in Oelsnitz sein. Auch rückt der Geburtstermin für unser erstes Baby immer näher. Anne besucht ihren Vater jeden Tag im Krankenhaus, steht ihm bei, so gut sie in ihrem Zustand kann, es ist eine große Belastung für sie und die ganze Familie. Mutter Anna in Martinsdorf ist abgeschnitten vom Geschehen und soll dort die Dinge am Laufen halten. Da ist es ein großer Segen, dass der „kleine“ Hans bei Methners Hans gut untergebracht ist. Die beiden Hansen unternehmen fast jeden Tag eine Tour mit dem „Gaswagen“, d.h. sie liefern Propangasflaschen bis nach Bad Brambach, kehren unterwegs in der „Käs' burg“ ein und haben so ihre Beschäftigung. Es kommt Freitag, der 20. September 1974 und Anne muß zur Entbindung nach Plauen. Zum Glück ist die Hebamme eine gute Freundin und Pfarrfrau aus Taltitz, so wissen wir Anne auch da gut aufgehoben. Ein gesundes munteres Baby, unser Sebastian, kommt zur Welt. Aber ich bin weit weg vom Geschehen und bekomme kaum Sonderprivilegien eingeräumt. Schließlich ist Kinderkriegen ja was ganz Normales. Um die Begleitumstände weiß in dem Moment keiner so recht Bescheid. So kann ich auch am Geburtstag unseres ersten Sohnes nur etwas vor sieben Uhr abends in Plauen sein, um dann durch diese dumme Glasscheibe mit dem Storchenvorhang zu schauen auf ein kleines Bündel Mensch, das ich nicht erkennen kann. Hinter mir stehen und drängeln sich viele andere Leute, teils höher gestellte Menschen in Uniform der ruhmreichen Sowjetarmee,nach Machorka und Wodka duftend , deren Frauen, Töchter und
Schwiegertöchter auch da entbunden haben und ich weiß nicht recht, wer eigentlich mein erster Sohn ist........(Das wird sich zum Glück später ändern !!!!) Entsprechend schlecht geht es dem Vater Hans und ob er wirklich realisiert hat, dass er Großvater wurde, wissen wir nicht. Jedenfalls wird sein Zustand immer bedenklicher. Frau Dr. Renz mahnt zur Operation, aber da geht gar nichts. So bleibt uns nur, den Vater so schnell wie möglich nach Rumänien zu bringen, denn er hat sich vorgenommen, nur dort zu sterben. Vorher werde ich natürlich für den „kleinen“ Hans noch einen Extra-Reisepass bei der rumänischen Botschaft in Ostberlin besorgen und deshalb fahre ich auch noch einmal ganz kurz nach Pankow und besorge dieses Dokument. Nun steht der Heimreise nichts mehr im Wege. Der Hug Hageni kommt mit seinem inzwischen erneuerten Moskwitsch und fährt den Vater liegend nach Dresden, von wo aus wir einen Schlafwagenplatz für ihn und den „kleinen“ Hans reserviert haben. Es geht alles gut. Vater kommt in das Abteil, der Zug fährt los und wir müssen ihn buchstäblich „loslassen“.
Von da ab wissen wir erst mal nichts mehr.
Es ist wie bei der Weltraumfahrt: Bist du erst mal weg von der Erde kommt eine Zeit der Funkstille. Die nächste Nachricht erreicht uns nach vielen Stunden aus Oradea in Rumänien, das ist die erste Stadt nach der Grenze zwischen Ungarn und Rumänien. Den Vater hat man als Notfall dort „ausgeladen“, in ein Krankenhaus verbracht und die Mutter ist da. Der „kleine“ Hans fährt offensichtlich weiter, weil er ja zur Schule soll. Die Auflösung des Dramas ist eine BLINDDARMENTZÜNDUNG. Ein rumänischer Arzt operiert notfallmäßig und stellt fest, dass der Blinddarm des Patienten sich entgegen aller Anatomie hinter der Galle versteckt hatte. Zum Glück hatten die Oelsnitzer Ärzte ihren Patienten mit Antibiotika bestens versorgt...........................
Die Rekonvaleszens des Vaters erstreckt sich über viele Monate. Aber er wird schon wieder fast der Alte: „Das größte Eichhörnchen von ganz Rumänien“. Wir werden noch viel Spaß mit ihm haben und er wird uns noch die eine oder andere Lehre erteilen können.
Ein Glück, dass es die Ärzte in Oelsnitz und Oradea gegeben hat.......................
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