Diese Geschichte spielt im Sommer 1968.
Ich habe Semesterferien und begleite meine Eltern für ein paar Tage nach Marienbad.
Ich habe Semesterferien und begleite meine Eltern für ein paar Tage nach Marienbad.
Pfarrer
Lastovka, der Onkel meines Freundes Jan hat uns ein Quartier besorgt bei Familie Pazourek (auf
deutsch heißt das „Pfötchen“). Ich bin gespannt auf die Leute, die so einen lustigen Namen tragen.
Wir bekommen zwei saubere Stübchen zugewiesen und lassen es uns in Marienbad gut gehen.
Allenthalben spürt man in der Stadt, dass etwas anders ist, als bei uns in der DDR. Alles ist bunt,
die Leute laufen mit entspannten Gesichtern durch die Parks und in den Cafe's sitzen die Menschen
und lesen Zeitung.Überhaupt sind die Kioske gefüllt mit Zeitungen aus aller Welt. Es gibt keine
Beschränkungen mehr, keine Zensur, wir können frei und ungehindert den „Spiegel“ oder die
„Frankfurter Allgemeine“ kaufen, die „Prager Volkszeitung“ berichtet ganz offen über die
Vertreibung der Sudetendeutschen und das in deutscher Sprache und überall finden sich Fotos vom
ersten demokratisch gewählten tschechoslowakischen Staatspräsidenten Tomas Mazaryk. Es ist eine
fantastische Atmosphäre!!!!
Nach ein paar Tagen, die ich mit meinen Eltern dort verbracht habe, verabschiede ich mich, denn
ich bin in Prag mit meinem lieben Freund Jan verabredet, der im Vorjahr auf der Karlsuniversität
sein Mathematik-Studium begonnen hat.
Wir treffen uns auf dem Bahnhof Praha-stredni ( Mittelbahnhof, heute wieder Mazaryk-Bahnhof )
und fahren mit der Straßenbahn an den Stadtrand in sein Internat. Dort darf ich für ein paar Tage mit
ihm die Bude teilen, denn sein Kommilitone ist schon in den Heimaturlaub abgereist. Also ist ein
Bett frei. Kurze Instruktion, wie ich mich zu verhalten habe: Nichts sagen, nichts hören, nichts
sehen..........(die drei Affen eben), dann gibt er mir eine Art Hausausweis und eine Karte, die mich
zur Verpflegung in der Mensa berechtigt. Er hat an alles gedacht! Logischer Denker eben, der Jan.
Viele Dinge können wir gemeinsam unternehmen. Jan führt mich durch das alte Prag, an Ecken, die
sonst kaum einer sieht, aber wir besuchen auch die Stätten, die man in der Mutter aller Städte (Zlata
Praha, Matka Mest) einfach gesehen haben muss. Wir stehen an der astronomischen Uhr am alten
Rathaus, sind auf der Karlsbrücke bei den Künstlern, besuchen die Theyn- und die Nikolauskirche,
befinden uns in der “Alt-Neu-Schul“, der ältesten Synagoge Europas, wie man mir sagt , lesen dort
die unzähligen Namen der getöteten Prager Juden – 30.000 sind es wohl, wenn ich recht erinnere -
und legen im jüdischen Friedhof Steinchen auf das Grab von Rabbi Löw, dem Schöpfer des
„Golem“, den man getrost als Vorläufer moderner Roboter bezeichnen darf.
Aber wir lassen es uns auch gut gehen: Smetanas „Verkaufte Braut“ lernen wir im Nationaltheater
an der Moldau persönlich kennen, in den Waldstejn-Gärten unterhalb des Hradschin erleben wir ein
Open-Air-Konzert der Prager Philharmonie, bei dem man Pfeife rauchen und chinesischen
Orangen-Saft trinken darf und natürlich sind wir auch „U Fleku“ zu finden, der berühmtesten
Prager Schwarzbierkneipe. Nur den „Kelch“, wo der gute Schwejk „nach dem Krieg um sechse“
eingekehrt war, lassen wir aus. Aber es ist eh schon alles „Schwejk“ in dieser Stadt im Sommer '68.
An einem der Tage hat Jan wohl noch in der Uni zu tun – ich weiß es nicht mehr – und ich mache
mich allein auf den Weg in die Kleinseite. Ich will nun endlich den Hradcany (Hradschin), die
ehrwürdige Prager Burg „erobern“. Nachdem ich mir den St. Veits-Dom „reingezogen“ habe, mache
ich mich auf den Weg nach „Zlata Ulicka“, dem Goldenen Gässchen. Dort sollen ja der
Überlieferung nach die „Goldmacher“ gewohnt haben. Erfolg hatten sie genau so wenig, wie der
sächsische Herr Böttcher. Aber der hat wenigstens noch das Porzellan erfunden. Von den Prager
Goldmachern ist solche Mähr nicht überliefert .... .
Zum Schluss bewege ich mich noch auf das Präsidentenpalais im Vorhof der Burg zu. Die Fahne
oben auf der Zinne sagt, dass Präsident Svoboda (das heißt übrigens „Freiheit“) zuhause ist.
Ich folge den Wegweisern und durchstreife Raum für Raum mit kostbaren Ausstattungen, bis in
einem ganz bestimmten Zimmer eine freundliche junge Dame an mich herantritt und mir leise, aber
bestimmt zu verstehen gibt: „Bitte verlassen Sie diesen Raum wieder in der Richtung, aus der Sie gekommen sind, Sie befinden sich im Vorzimmer des tschechoslowakischen Staatspräsidenten“!
Für einen Moment habe ich Ehrfurcht vor mir selber, aber dann stelle ich mir vor, ich dürfte das
zuhause erleben, wo schon an jeder Tür in jedem kleinen Polizeirevier ein amtliches Dienstsiegel
klebt und alles so schrecklich „geheim“ ist....
Mit schwerem Herzen verabschiedet mich Jan nach unserer gemeinsamen Zeit in Richtung
Slowakei. Er mag selber die Slowaken nicht besonders, denn er ist Tscheche mit Leib und Seele,
aber er toleriert meine Überzeugung, dass ich keine Unterschiede machen möchte. Schließlich habe
ich auch in Trnava (Tyrnau) bei Bratislava (Preßburg) liebe Freunde, die ich endlich mal besuchen
möchte.
Trnava /Tyrnau nennen die Slowaken übrigens ihr „Kleines Rom“ aufgrund seiner vielen Kirchen.
Eine wunderschöne Stadt in einer noch schöneren Umgebung. Die „Mala Fatra“ (kleine Fatra) ein
Nebengebirge der Tatra liegt vor der Haustür und Bad Piestany, das „Teufelsbad“ an dem Fluss Vah
(Waag) ist nicht weit weg.
Ich bin bei Frau Visnovska einquartiert, die ich gemeinsam mit meinen Eltern mal in der Eisenbahn
in der Nähe von Dresden kennengelernt habe. Sie war es, die uns erklärte, dass man Paprikaschoten
auch essen kann.... . Frau Visnovska stammt ursprünglich aus dem böhmischen Kraslice/Graslitz, hat irgendwann mal
den Herrn Visnovsky in Tyrnau geheiratet und spricht perfekt deutsch. Sie lebt mit ihrer Tochter
Ewa in einem idyllischen blumengeschmückten, mediterran anmutenden Hinterhof an einer der
Hauptstraßen Tyrnaus. Ihr Sohn Benno ist schon verheiratet und leidenschaftlicher Angler auf der
Vah. Und der nimmt mich mit zum Fischen, geht mit mir in die Berge der Mala Fatra, zeigt mir alte
Burgen und Schlösser mit fantastischen Wildparks. Alles ist einfach nur GUT. Es ist warm, die
Sonne scheint, die Menschen sind aufgeschlossen, ich habe ein Quartier und gute Verpflegung und
kann im übrigen machen, was ich will. So auch am 11. August, meinem 20. Geburtstag. Ich habe
mir vorgenommen, nach Bratislava zu fahren. Man fährt ungefähr eine halbe Stunde mit dem
Vorortzug und ist in der slowakischen Metropole. Neben der Altstadt und der „Pressburg“
interessiert mich vor allem die Donau, dieser länderübergreifende Strom, der durch keine Grenze
und durch keinen „Eisernen Vorhang“ aufzuhalten ist, seinen Weg durch Europa zu gehen – vom
deutschen Schwarzwald bis zum rumänisch-ukrainischen Schwarzen Meer. Einmal will ich
„Europa-Flair“ erleben und so kaufe ich mir eine Schiffskarte für eine Donaurundfahrt – stromauf
zur oesterreichischen Grenze und dann retour, stromab zur ungarischen Begrenzung. Das ist ein
Geburtstag!!!
Da möchte man alle Tage noch mal 20 werden!
Und dann ist Mittwoch, der 21. August 1968.
Ich liege noch in meinem Bett im abgedunkelten
Raum, der dadurch vor der Hitze bewahrt wird und höre ein seltsames Brummen in der Luft. Na ja,
denke ich mir, vielleicht irgendwelche Straßenbauarbeiten, die dich da in aller Frühe wecken. Ich
schleiche mich raus und siehe da, meine Gastgeber sind schon wach und aufgescheucht, wie ein
Bienenschwarm. Es läuft das Radio aber statt der üblichen morgendlichen Musiksendung nur
aufgeregte Stimmen. Ich höre was von „legalni, svobodny ceskosolovensky rhozlas nad Dunaj“,
(legaler, freier tschechoslowakischer Rundfunk auf der Donau – gesendet wird offensichtlich von
einem Donauschiff aus, abwechselnd auf tschechisch, slowakisch, deutsch und ungarisch), kann mir
kein Bild machen und erfahre, was geschehen ist:
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben die Armeen des Warschauer Vertrages (außer die
rumänische Armee) in der vergangenen Nacht die gesamte Tschechoslowakei besetzt.
Angeblich
sind sie gerufen worden, um der drohenden Konterrevolution zuvor zu kommen......
An Frühstück ist nun nicht mehr zu denken, ich laufe auf die Straße und sehe ungarische Militär-
Jeeps straßauf, straßab fahren.
Ich laufe Richtung Zentrum, wo sich das Rathaus, die Post, das
Fernmeldeamt und andere Behörden befinden und sehe dort sowjetische Soldaten in voller Montur
stehen.
Mit meinen drei Brocken Russisch rede ich sie an und erfahre, dass die armen Schweine gar nicht
wissen, wo sie sich befinden. Sie sind der Meinung, sie seien in Westdeutschland und müssten den Klassenfeind besiegen und
den Sozialismus retten.Ich laufe zurück zu meinen Gastgebern und berichte. Die haben inzwischen die Information, dass
die slowakische Grenze nach Oesterreich weit offen steht und jederzeit von jedermann frei passiert
werden kann.
Benno mahnt mich zur Eile und sagt: „Das kann nicht lange so sein, dann sind die Russen auch an
der Grenze, wenn Du willst, pack' Deine Sachen, meine „JAWA“ steht draußen, ich fahre Dich
nach Wien!“. In der Tat bin ich einen Moment am überlegen, aber dann sage ich mir etwas von den Eltern in
Oelsnitz, dem Studienplatz in Leipzig, den Freunden und überhaupt der gewohnten Umgebung.
Ich danke dem Benno – er selber fährt auch nicht. So geht das nun viele Tage weiter: Jeden Tag die gleiche Runde – Postamt mit der russischen
Bewachung, um vielleicht eine Nachricht nach Hause zu schicken, Rathaus, um zu erfahren, was los
ist, Bahnhof, um zu schauen, ob schon wieder Züge fahren............. Mein Vorteil ist, dass ich die Sprache inzwischen halbwegs beherrsche. Man hält mich zwar
nunmehr für einen Tschechen, aber das ist weitaus besser, als würde man den DDR-Menschen in
mir erkennen. Das gäbe wahrscheinlich den angestauten Volkszorn....!
Komischerweise hat die Menschen trotz der dramatischen Ereignisse der Galgenhumor nicht
verlassen. Der Schwejk wohnt nun auch in der Slowakei. Alle wichtigen Wegweiser auf den Straßen
sind abgebaut, die Schilder auf dem Bahnhof fehlen und statt dessen prangen überall große Tafeln:
„Moskau – 2000 km / Berlin – 800 km / Budapest – 150 km usw.
Freche Sprüche, die nur auf slowakisch funktionieren kommen über das Radio, aber die Berichte
werden spärlicher, ein „Piratensender“ nach dem anderen gibt den Geist auf und so versinkt das
Land nach und nach in bleiernem Schweigen.
Die Sonne scheint nicht mehr so hell, die Blumen blühen anders, die Menschen schauen traurig
drein – nur die russischen Soldaten stehen brav auf „Friedenswacht“.
Nach ca. zwei Wochen erfahre ich, dass es wieder eine Zugverbindung Richtung Prag geben soll
und dann weiter in Richtung Dresden.
Ich nehme den ersten Zug und durchquere ein gestorbenes Land. Alles liegt trist vor mir. Ich mag
eigentlich nicht weg, aber ich bin mir sicher, die Eltern machen sich Sorgen......
Ich komme in Tetschen / Decin an und sehe ein uriges Gewimmel auf dem Bahnhof. Leute laufen
aufgescheucht durcheinander, zwischendrin DDR-Soldaten, die für Ordnung sorgen. Irgendwie
denke ich, dass ich solche Bilder schon mal im Kino gesehen habe, aber aus einer anderen Zeit.
Dann werden umgebaute Güterwaggons bereitgestellt – grün angestrichen und mit Fenstern und
Sitzbänken versehen. Wenigstens soviel, sonst wäre der Vergleich erdrückend ... .
Die Grenzkontrolle ist hart. Vor allem wird Gedrucktes gesucht. Filme werden konfisziert. Aber die
Bilder in unseren Köpfen können sie uns nicht nehmen. Die bleiben für immer.
Schade um dieses schöne Land, das nun in einer Art Dornröschenschlaf liegt.
Als ich nach Oelsnitz zurück komme ist natürlich die Erleichterung groß. Nebenbei erfahre ich, dass
der Staatssicherheitsdienst schon ein paarmal bei meinen Eltern war. Immerhin habe ich bei der
abendlichen Volkszählung offensichtlich gefehlt und man hatte sich an höherer Stelle Sorgen um
mich gemacht .... .
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