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Freitag, 5. April 2013

Der Kampf gegen die Windmühlen

Von Hubert Schierl

Da sitzen wir also mit unserer Weisheit. Der Herr Rechtsanwalt Blaga hat uns geholfen, die „Papiere“ sind eingereicht, das Wörtlein „Warten Sie zuhause“ haben wir oft gehört und getrennt sind wir immer noch. Anne ist nach wie vor in Hermannstadt und ich bin in Leipzig und alles scheint seinen langsamen Gang zu gehen ..... .

Bis ich dann wirklich beschließe, die Sache zu beschleunigen. Immerhin habe ich ja eine Schreibmaschine.

Und so beginne ich, Briefe zu schreiben.

Der Parteichef von Hermannstadt heißt Winter, das weiß ich und seine Adresse kriege ich auch raus. Also schreibe ich ihm einen Brief und trage unser Anliegen vor: „Wir möchten gern heiraten und wenn wir verheiratet sind, wollen wir in der DDR leben. Unter befreundeten Ländern dürfte das doch kein Problem sein ...“ und so weiter ...

Als nach zwei Wochen noch keine Antwort da ist, schreibe ich wieder. Ähnlicher Wortlaut, gleiches Anliegen. Immerhin denke ich mir, der Mann ist ja ein Deutscher, der muß unsere Absicht doch ernst nehmen! 

Denk'ste ! Nichts kommt zurück

Derweil habe ich auch eine Adresse von Bukarest – vom ganz großen Genossen Nicolae Ceausescu. Dem schreibe ich auch. Ganz viel „Bitte, bitte“ und Heischen um Verständnis – aber auch von da kommt nichts.
Und so gehen Briefe aus Leipzig in Richtung Rumänien – alle zwei Wochen einer nach Hermannstadt an den „Sehr geehrten Herrn Winter“ und jeden Monat einer nach Bukarest an den „Präsidenten der Sozialistischen Republik Rumänien“. Auch meine Mutter in Oelsnitz setzt sich für uns ein und schreibt Briefe. Das kann sie nämlich sehr gut! 
Aber es passiert gar nichts. Es ist, als wäre alles nicht geschehen. Dabei wissen wir aber durch die Rückscheine der Deutschen Post der DDR, dass unsere Briefe alle zugestellt wurden.

Ich komme mir vor wie Don Quichotte – die Windmühlen sind übergroß!
Monat um Monat vergeht und es geschieht nichts – es ist zum Verzweifeln ! Irgendwie sind wir abgehängt ... . 
Regelmäßig aller zwei Monate spreche ich in Oelsnitz beim Rat des Kreises vor und lasse mein „Ehefähigkeitszeugnis“ verlängern. Das ist die Bescheinigung dafür, dass ich noch immer unverheiratet bin und mein Heimatland nichts dagegen hat, dass ich eine Ausländerin heiraten will. Ich habe das Gefühl, dass ich den Leuten vom Amt in Oelsnitz langsam leid tue. Jedenfalls sind die alle ganz freundlich zu mir.
Bis ich eines schönen Tages auf die Idee komme, einen Brief nach New York zu schreiben und zwar an die „Division of Humen Rights“ - die Kommission für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen. Ich bekomme sogar Antwort, das hätte ich nicht glauben wollen. Man schreibt mir, dass es unser gutes Recht sei, die Eheschließung über Grenzen hinweg einzufordern – ein Menschenrecht eben. Alles schön auf Englisch, aber ich kann mich halbwegs „durchfitzen“.
Und Anne bekommt eine Einladung. Zur „Securitate“, dem rumänischen Staatssicherheitsdienst. Sie solle mir doch mitteilen, dass ich keine Briefe mehr schreiben soll. Das würde eh' nichts nützen. Ich kann mir vorstellen, wie ihr zumute ist. Mit diesen Leuten möchte man lieber nichts zu tun haben....

Trotzdem mache ich weiter und setze noch einen drauf: Ich schreibe auch noch an die deutschsprachige rumänische Tageszeitung „Neuer Weg“. Mein Freund Günter hat mir da einen Namen mitgeteilt. Ein Journalist, der manches bewegen kann. Ob das wohl hilft??

Inzwischen sind Monate vergangen.


Zu Weihnachten bin ich in Siebenbürgen. Agathe wird getauft, die kleine Tochter von Annes Schwester Sunhild und ihrem Mann Helmut. Es ist schön, das Christfest auch mal in der Fremde zu erleben. Vieles ist anders. Die Taufe ist sehr feierlich und es sind ganz viele Leute da. 


Am Silvestertag in der Nacht muss ich wieder in Richtung Leipzig abreisen.
Ich werde es nicht vergessen: Wir alle wollen uns gerade ein frohes Neues Jahr wünschen, da ist hinten im Hühnerhof großes Getöse. Offensichtlich ist da einer über den Zaun gestiegen und will sich einen Neujahrsbraten mit Gefieder holen ... . Ob er das geschafft hat, weiß ich bis heute nicht. Aber der Lärm war groß.... 
Ich muß zum Zug. Mitten in der Neujahrsnacht. Und die Reise geht auch ganz gut – bis Budapest. Dort wird in mehreren Sprachen mitgeteilt, dass die Reisenden jetzt alle aussteigen müßten, weil wegen der Schweinepest eine normale Weiterfahrt nicht möglich sei. Ich kann kein Wort Ungarisch, habe nur kapiert, dass der Zug hier nicht weiterfährt und ich auf einen anderen Bahnhof muß, um nach Hause zu kommen.
Ungarisches Geld habe ich auch nicht. Nur noch einen rumänischen Hunderter, der damals richtig viel wert ist. Immerhin ca. 40 Mark der DDR. Für einen Studenten eine Menge Kohle ....
Also bleibt mir nur ein Taxi, um von einem Bahnhof zum anderen zu kommen und beim Aussteigen bin ich schon recht froh, dass der ungarische Taximann meinen rumänischen Hunderter annimmt. Ich bin bei meinem neuen Zug und der Taxler hat ein gutes Geschäft gemacht – also ist allen geholfen. 
Die Reise geht weiter bis Bad Schandau an der DDR-Grenze. Dort sammeln dann die DDR-Zöllner erst mal alle Lebensmittel ein. „Schweinepest“ ist das Zauberwort.
Nur ich habe Glück: Weil ich aus Rumänien komme, darf ich meinen Reiseproviant behalten. Das gebratene Huhn, von dem der Zigeuner nichts wußte, bleibt mir also. Auch die „Fleischknödel“, die die Schwiegermutter so gut zubereiten kann, dürfen mit nach Leipzig und so ist die Ernährung mal wieder gesichert. 

Die Zeit läuft weiter und die Briefe nach Rumänien auch.
Es wird Frühling und der 1. Mai sieht mich schon wieder in Siebenbürgen. Ich habe mein letztes Semester angetreten, habe alle nötigen Testate beieinander, muß also zu keiner Vorlesung mehr, die mündlichen Prüfungen zum Studienabschluß haben noch ein paar Wochen Zeit, die großen Arbeiten sind geschrieben und was ich bisher nicht gelernt habe, kommt nun auch nicht mehr. Also bin ich in Martinsdorf.
Und das ist nun wirklich ein Erlebnis ! Ein Frühling, wie ich ihn hier zuhause noch nie kennen gelernt habe. Es ist warm, die Bäume haben schon volles Laub und zum 1. Mai gehen wir „demonstrieren“ mit Lammschnitzel vom Grill, frisch gebackenem Brot und Wein aus dem Keller. Die Jugend ist im Freien. Alle sind fröhlich und alle Sorgen scheinen vergessen.
Inzwischen gehöre ich ja mit dazu. Immerhin bin ich beinahe so oft in Martinsdorf, wie die anderen Jugendfreunde von Anne, die in der Stadt ihre Ausbildung machen oder schon eine Arbeit haben.
Es ist wieder eine schöne Woche, die uns dieses ewige „Warten Sie zuhause“ fast vergessen läßt. Wieder kommt ein leidiger Abschied, aber wir wissen, bis zum Sommer ist nicht mehr viel Zeit. Nur noch zwölf bis fünfzehn Prüfungen in Leipzig und das Studium ist vorbei. Dann sind die letzten großen Ferien und für uns kommt ein Wiedersehen.....
Was diese „großen Ferien“ uns bringen werden, wissen wir freilich noch nicht..... 

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