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Freitag, 5. April 2013

Das große Finale

Von Hubert Schierl

Nun sind wir also in der Endrunde unserer Hochzeitsvorbereitungen.


Seit Mittwoch ist reges Leben und Treiben im Haus und Hof der Schwiegereltern. Jeden Tag sind mindestens 10 Frauen da und backen, was das Zeug hält. Tante Anna aus Mediasch ist angereist. Sie ist zuständig für das Kleingebäck und lebt seitdem nur noch von Kaffee und Zigaretten. Tagelang ! Ein Glück, dass wir „Westgäste“ haben und an Kaffee kein Mangel herrscht.

An mindestens 5 verschiedenenen Backöfen, im Dorf verteilt, wird Brot gebacken. Auch bei der Großmutter in ihrem kleinen Häuschen, in dem sie alle ihre 7 Kinder in den schweren Kriegsjahren allein groß gezogen hat. Ihr Mann war ja im Krieg und kam nur ab und an auf Urlaub...... Später hat es ihn nach dem Westen verschlagen. Großmutter blieb allein. Mein   Vater, der gelernte Bäckermeister, macht auch mit und knetet Teig. Überall duftet es nach frischem Brot. Über 50 große Laibe – so habe ich mir später sagen lassen – sind es. Immerhin wollen die zahlreichen Gäste ja schon vor der Hochzeit etwas essen. Brot, Kuchen, Kleingebäck – das ist die Sache für die nimmermüden Frauen. Derweil haben die Männer auch ihre Sorgen: Das Schwein muß geschlachtet werden. Bei der Hitze im August eine echte Herausforderung. Sonst heiratet man ja lieber im Herbst oder Winter, wenn keine Arbeit auf den Feldern ist und die kühlen Temperaturen für Frische sorgen. Uns ist der Termin staatlicherseits vorgegeben und so hat sich alles danach zu richten. Es muß also alles mal wieder schnell und vor allem sauber zugehen. Aber bei dem Schwein allein kann es nicht bleiben. Schließlich wollen die Leute auch Suppe vor dem Braten. Und für die erwarteten 300 Leute (Kinder gar nicht exakt mitgerechnet) braucht es schon eine Menge. Also lassen auch noch 52 unschuldige Hühner ihr kurzes Leben, um in den Kesseln der Gourmetköchinnen zu landen. Nachdem auch diese Tierchen sauber ausgenommen und von ihrem Federkleid befreit sind, werden sie noch an den Beinen „gefesselt“ und in den großen Suppenkessel, der eher einem hier ortsüblichen Waschkessel gleicht, getaucht, um dort Ihr „Fett ab zu kriegen“. Schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren erlebe ich diese Zeremonie und der Geschmack ist bis heute im Gedächtnis..... Hühnersuppe mit selber gemachten Nudeln, die schon eine Woche vorher im Hochzeitshaus produziert und ganz fein mit dem Messer per Hand geschnitten wurden. Aus Agnetheln wird per Moskwitsch noch eine halbe Kuh herangeschafft. 
Alles muß sauber koordiniert werden und das ist die logistische Meisterleistung von Mutter Anna. Niemand könnte das so gut wie sie. Und dabei hat sie es gar nicht mal so leicht, denn jede der anwesenden Damen hat auch ihre eigenen Erfahrungen mitgebracht und manch eine weiß immer alles am allerbesten..... Da braucht es schon Durchsetzungsvermögen! Aber Mutter Anna schafft das souverän – auch wenn sie hinterher wohl mindestens fünf Kilo abgenommen hat.

Derweil fahren Vater Hans und ich zusammen mit Hug im guten alten Mossi (Moskwitsch-Auto) hinunter ins Kokeltal, um den Hochzeitswein zu besorgen. In Arbegen in der Kellerei werden wir fündig. Bestimmt ist es eine „Kokeltaler Mädchentraube“, die wir uns aussuchen – jedenfalls ein „Weinchen“, wie es kein zweites gibt. Gerade gut genug für den festlichen Anlaß!! Also nehmen wir genug davon mit. Wie das arme Auto das geschafft hat, weiß ich nicht mehr. Aber am Ende ist der Wein in seinen Fässern im Kulturhaus in Martinsdorf – dem Festsaal – gut gelagert und der Schuster-Onkel (der Pate von Anne) hat die ehrenvolle Aufgabe, von nun an bei Tag und Nacht Wache zu halten, damit keiner auf dumme Gedanken kommt und der Wein sich „beruhigen“ kann nach den Strapazen des Transports. Wie man mir später sagt, hat er sogar bei den Fässern geschlafen. Über den Brautstrauß habe ich ja anderenorts schon berichtet. Wie gesagt, es war kein leichtes Unterfangen, überhaupt ein halbwegs würdiges Exemplar zu bekommen.


Und nun ist Sonnabend vor der Hochzeit. 
Schon nachts gegen 2 Uhr klingelt der Wecker, wir müssen raus aus den Federn – Leute zur Arbeit rufen. Annes Jugendfreunde sind vollzählig angetreten, einer hat sein Akkordeon mitgebracht und dann geht das los mit Musik und großem Getöse kreuz und quer durch's Dorf. An diesem und jenem Hoftor machen wir halt und dann wird gesungen. „Meister Jakob, schläfst du noch?“ und ähnliche Texte. Während der eine Teil der Truppe singt, machen sich die anderen, meist die Jungs, „nützlich“ und heben schon mal die Tür zum Schweinestall aus, damit die lieben Tierchen auch Freiheit haben, oder treiben die Kuh schon mal vorzeitig auf die Weide. Alles sehr zur „Freude“ der Einwohner, die das Spiel aber schon kennen und deshalb auch recht tolerant sind. Am Ende sind wir hundemüde zurück auf dem Hochzeitshaus und die armen Frauen, die wir in aller Frühe mit einem kräftigen Schnaps geweckt haben, müssen einen ganzen Tag lang noch schwer schuften, damit am Sonntag alles zur Hochzeit parat ist. 
Nun gilt es! Die Hauptarbeit ist nunmehr im Saal. Die Frauen rühren, kochen und brutzeln, die Jugend richtet die Lokalität festlich her. Das Brautpaar wird geschont. Immerhin haben wir noch die „Betstunde“ beim „Herrn Vater“ - so nennen sie den Ortspfarrer in der Tat damals noch, zu absolvieren. Übrigens, war seine liebe Frau die „Frau Mutter“. (Später, als ich selber Dorfpfarrer bin, wünschte ich mir nur ein wenig von diesem Respekt!!) 

Und dann ist Sonntag, der 19. August 1973! Bis gegen 10 Uhr haben sich alle geladenen und sicher auch noch ein paar Zaungäste im Kulturhaus versammelt. Erst einmal gibt es eine kräftige Suppe, denn mach einer ist schon seit den frühen Morgenstunden per Bus unterwegs. Ein eigenes Auto ist eher die Ausnahme. Und bei der Infrastruktur ist die Anreise selbst innerhalb des Kreisgebietes Hermannstadt langwierig. Dann geht es mal kurz in die Quartiere, das „hochzeitlich' Gewand“ anzulegen und schon wenig später kommt man wieder im Saal zusammen zur „großen Verbrüderung“. Ich habe diese Zeremonie schon einmal in Hetzeldorf gesehen: Braut und Bräutigam verabschieden sich formell bei ihrem jeweiligen Familien und bitten in der je anderen Familie um Aufnahme. Professor Chrestel, Annes Lehrer, und mein lieber Freund Hug (der eigentlich Rainer heißt) wachen darüber, dass alles ordnungsgemäß abläuft. Überhaupt werden die beiden Herren für den Rest des Tages „Den Hut auf“-haben und dafür sorgen, dass die ganze Gesellschaft von über 300 Leuten ordnungsgemäß nach „Sitt' und Brauch“ die Hochzeit erlebt. Auch wir, das Brautpaar, haben uns vor der Zeremonie noch einmal kurz zurückziehen können, um uns anzukleiden. Schließlich wollen wir ja im „Brautmoskwitsch“, der kurz vorher noch Wein- und Kuhtransporter war, feierlich vor dem Kulturhaus auffahren. „Noblesse oblige“ - Adel verpflichtet! 
Dann formiert sich die gesamte Gesellschaft zu einem Hochzeitszug. Vorweg ich, der Bräutigam, flankiert von Prof. Chrestel und Hug (vielleicht auch, damit ich nicht mehr weglaufen kann.....?) Hinter uns Anne, die Braut, im wertvollen Spitzenkleid von 1943, geleitet von Suni und Monika, Hug's Frau. Und dann der schier endlose Zug von jungen Paaren in Martinsdorfer Tracht. Das haben wir dem Professor Chrestel zu verdanken, der uns eingeschärft hat, dass es anders nicht geht. Nach „Sitt' und Brauch“ eben! Und dann der Rest – die Eltern, die Onkels und Tanten, die aus- und inländischen Gäste.......Und nicht zu vergessen die vielen Kinder. Etliche Schaulustige stehen am Weg zur Kirche, die wir unter Glockengeläut und Orgelspiel betreten. Den Gottesdienst zu unserer Trauung erleben wir stehend. (Später beneide ich dann die Paare, die ich selber trauen darf: Die können sitzen). Unser Freund Fred predigt über unseren Trautext: „Ihr sollt Euch zuerst um das Reich Gottes kümmern und Ihr werdet erleben, dass viele Dinge sich dann von allein regeln“. So ähnlich steht es jedenfalls in der Bergpredigt des Herrn Jesus bei Matthäus. Und dann passiert etwas, das wir alle, die wir es erlebt haben, wohl nie vergessen werden: Von der Orgelempore ertönen klare volle junge Männerstimmen im Quartett und singen für uns den Psalm 23 : „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“. Der gute Professor Chrestel hat ein paar Burschen vom Dresdener Kreuzchor mitgebracht, die gerade auf Urlaubsfahrt in Siebenbürgen sind und einmal eine originale siebenbürgische Hochzeit miterleben dürfen. Beides, der Predigttext und der Psalm, haben bis auf den heutigen Tag nichts von ihrer Aktualität verloren. Und das sind derweil 40 Jahre. Die Erfahrung, dass es uns an nichts mangelt, machen wir immer wieder. Wir können sogar mit anderen teilen und das ist gut so. Und dass wir uns bei Gott gut aufgehoben wissen, erlebten und erleben wir auch immer wieder. Ja und dann der große Moment: Wir stecken einander die Ringe an, Fred segnet uns und dann darf ich meine junge Frau ganz allein aus der Kirche hinausführen. Nun brauchen wir keinen „Begleitschutz“ mehr. Das ist ein erhebender Moment. 
Kurzer Fotostop unter dem Kirchenportal für die anwesenden in- und ausländischen Gäste und dann geht es im langen Zug quer durch's Dorf bis zu Annes Elternhaus. Ich denke, das ist eindrücklicher, als jede Maidemonstration..... 
Ein paar Kinder verwehren uns noch den Eintritt in den Hof und wollen einige Münzen haben. Das wird großmütig gewährt und dann geht es ans Gratulieren und Schenken. Wir hatten unseren ausländischen Gästen gesagt, sie möchten uns erst in Deutschland beschenken und den Inländern haben wir zu verstehen gegeben, dass uns mit Geld am besten zu helfen sei. Trotzdem türmen sich auf dem Gabentisch die Geschenke. Mutter Anna hat zu tun, die Übersicht zu behalten und unsere Gäste aus den beiden Deutschlands müssen später vor dem Zoll an der Grenze schwitzen, weil sie die guten Gaben transportieren müssen. Später kriegen wir auf Umwegen alles wieder zusammen... . Der Rest des Tages ist Freude, gutes Essen, Tanz und Unterhaltung mit unseren Gästen. Alles, was fleißige Hände vorbereitet haben, ist wohl gelungen und findet guten Absatz.. Die liebe Sonne meint es gut mit uns, der schwarze Anzug wird langsam schwer vom Schweiß und so wird es Mitternacht – das offizielle Ende der Hochzeit. Der „Herr Vater“ nimmt Anne den Schleier ab und übergibt ihn ihrer Mutter. Ich werde des Sträußchens an meinem Anzugrevers beraubt, welches meine Mutter erhält und so soll symbolisiert werden, dass es nun vorbei ist mit dem Brautstand. Der Alltag beginnt. Vorher dürfen wir uns beim „Windeltanz“ noch etwas Kleingeld für den künftigen Nachwuchs verdienen und dann heißt es Abschied nehmen vom Brautstaat. Schnell mal heimgehen, „Zivil“ anziehen und dann kommt etwas, das zumindest ich nur schwer verkrafte: Anne und ich müssen mitten in der Nacht, so gegen 3 Uhr, unsere sämtlich Gäste – soweit noch munter – mit einer letzten Mahlzeit bedienen. Zum Glück haben wir ein paar helfende Hände, aber das ist in der Tat eine schwere Aufgabe.
Über die „Hochzeitsnacht“ sei der gnädige Schleier des Schweigens gelegt. Ich weiß jedenfalls, dass sie arg kurz ausgefallen ist.

Eine Woche haben wir nun noch Zeit, dann muß ich den Heimweg antreten, weil der Dienst beginnt. Pünktlich am 28. August habe ich mich in der Evangelischen Akademie zu Meißen einzufinden zum Einführungslehrgang für den Kirchlichen Vorbereitungsdienst (Vikariat). Diese paar wenigen Tage gilt es nun noch zu nutzen für die „Flitterwochen“. Annes Tante Katharina und ihr Mann Martin wohnen mit ihren zwei Kindern Irmgard und Martin in Victoria-Stadt, direkt im Karpatengebrirge. Diese lieben Menschen stellen uns für drei Tage ihre Wohnung zur Verfügung und so haben wir wenigstens ganz kurz Gelegenheit, unsere Zweisamkeit zu genießen und uns von den Aufregungen der letzten Tage, Wochen und Monate zu erholen. Es sind drei herrliche Tage, unbeschwert, aber doch auf's neue überschattet von der erneut bevorstehenden Trennung, denn obwohl wir nun nach Recht und Gesetz verheiratet sind, darf ich Anne noch lange nicht mitnehmen nach Deutschland. Sie muß erst mal einen Antrag zum Verlassen des Landes und zur Übersiedelung zu ihrem Ehemann stellen. Und niemand weiß, wie lange das nun wieder dauern wird.......


Machen wir es kurz:

Anfang Dezember 1973 bekomme ich dann die Nachricht, dass Anne dann und dann mit dem Flugzeug aus Bukarest kommend in Berlin – Schönefeld eintreffen wird. Vorher hat mein Vikariatsvater Vödisch in Plauen noch ein Einsehen und erlaubt mir eine schnelle Woche Siebenbürgen. Ich danke es ihm heute noch! Ich glaube, es ist ausgerechnet der Nikolaustag, als ich in Plauen den Schnellzug nach Berlin besteige. (Auch der ganz große „Überrumäne“ hieß Nikolaus !) Natürlich hat der Zug Verspätung und ich sehe den Flieger, der meine Frau an Bord hat, schon landen. Mit hängender Zunge haste ich zum Flughafengebäude und dann ist es endlich endlich so weit. Wir sind als Eheleute glücklich vereint. Von unserem ersten Kennenlernen bis zu diesem denkwürdigen Tag sind sage und schreibe zweieinhalb Jahre vergangen! 
Natürlich haben wir noch ein paar kleine bürokratische Aufgaben: Man hat Anne in Rumänien noch gesagt, dass der erste Weg sie zur rumänischen Botschaft zu führen habe, wo sie sich registrieren lassen muß, damit sie nicht in letzter Minute noch die Kurve nach dem Westen nimmt. Auch das wird pünktlich erledigt und wo wir nun einmal in der „Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik“ sind, wollen wir natürlich auch das Kleingeld, das mir die Mutter in Oelsnitz noch zugesteckt hat, ausgeben und für Anne gleich ein paar nette zeitgemäße Klamotten kaufen, die es so in der Provinz nicht gibt. Müde aber glücklich kehren wir nach Plauen zurück und beziehen unser „Ein-Raum-Appartement“ bei der Pfarrerwitwe Brunner, die mit ihren zwei Kindern in der Uhlandstraße wohnt. Küche und Bad nutzen wir gemeinsam, das ehemalige Arbeitszimmer ihres Mannes ist unser Zuhause. Unsere Bettsachen verstauen wir eine halbe Treppe tiefer in einer Truhe in einer Toilette, schlafen dürfen wir auf einer blauen ausziehbaren Couch, unser Monatseinkommen beträgt 330.- M/DDR und so starten wir in unser gemeinsames Leben.........

Aber: Wir haben es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft !!!!! 

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