Von Hubert Schierl
Das Leben geht schon seltsame Wege.
Da muß ein junger Mann extra aus der Dominikanischen Republik anreisen, um in Reichenbach im
Vogtland auf der Textilfachschule eine meiner ehemaligen Konfirmandinnen, Andrea aus
Kloschwitz, kennenzulernen. Und natürlich kommt es, wie es kommen muß:
Die beiden finden Gefallen aneinander, der Luis, den wir bis heute „Antonio“ nennen, aus dem
fernen Santo Domingo und die Andrea aus dem kleinen Kloschwitz bei Plauen.
Nicht allen Leuten gefällt die Verbindung der beiden jungen Menschen:
Andreas Eltern haben mehr oder minder berechtigte Sorgen, wie das denn enden soll – ihre behütete
Tochter und ausgerechnet ein Ausländer und noch dazu einer, dessen Hautfarbe und „Dialekt“ sofort
verraten, dass er nicht im Vogtland aufgewachsen ist ! Was wohl die „Leute“ dazu sagen werden ?
Die üblichen Vorbehalte, die man so hat, wenn etwas anders läuft, als es „allemeidaach“ (das ist
vogtländischer Terminus für „so muß es sein, so machen es alle...“ und wird nur im Vogtland
verstanden) üblich war.
Und da ist noch der Staat DDR, der diesen jungen Mann in's Land geholt hat, um „Solidarität“ zu
üben. Schließlich will man den jungen aufstrebenden Nationen vor der US-Amerikanischen Haustür
zeigen, wessen die kleine DDR fähig ist: „Wir schicken gut ausgebildete Fachleute wieder nach
Hause, die dann hoffentlich von den Segnungen des Sozialismus auf deutschem Boden berichten
werden und das in einem Gebiet, das so nahe der Höhle des kapitalistischen Löwen ist.....“
Die Probleme sind also programmiert und ich weiss: Diese beiden jungen Leute werden es nicht
leicht haben. Schließlich haben meine Frau und ich vor gerade mal 10 Jahren ähnliche Sorgen
gehabt – etwas anders gelagert, weil Rumänien und die DDR betreffend und zumindest ohne
Unterschied in Hautfarbe und Muttersprache, aber durchaus nachvollziehbar, was den „Konflikt“
mit Staat und Elternhaus betrifft. Also beschließe ich, den beiden Menschen zu helfen ......
Zunächst gilt es, das Gespräch mit den Eltern zu suchen und das ist nicht immer einfach. Es bedarf
großer Geduld und guter Argumente. Doch so nach und nach ebnen sich die Wogen und man
versucht, mit den Dingen zu leben. Ein erster und entscheidender Erfolg. Wo man redet, haben die
Probleme ihren Schrecken verloren.
Schwieriger soll es schon mit den Behörden werden .....
Schließlich kann die DDR kein Interesse an dieser Verbindung haben und erlaubt ist nur, was der
Sache wirklich dient.
Erstens soll „Antonio“ nach dem Ende seiner Ausbildung wieder in sein Heimatland zurückkehren.
Die Abmachung mit denen, die ihn geschickt haben, ist unbedingt einzuhalten, denn die DDR ist
dafür bekannt, dass Verträge befolgt werden. Man kann ihn also nicht einfach hier behalten.
Zweitens: Ihn gehen zu lassen und gleichzeitig die Verbindung zu einer DDR-Bürgerin zu
sanktionieren, bedeutet, eine sehr gut ausgebildete Fachkraft im eigenen Land zu verlieren.
Man befindet sich in einer Zwickmühle, die am besten dadurch aufzulösen wäre, dass die beiden
Liebenden ihre Verbindung beenden.......
Aber die kümmern sich um solche Bedenken der führenden Genossen herzlich wenig – im
Gegenteil. Irgendwann ereilt uns die Nachricht, dass ein Baby unterwegs sei und somit die
Angelegenheit auf einer völlig neuen Qualitätsstufe stehe.
Nachdem alle Beteiligten dreimal tief durchgeatmet haben, gilt es nun, dafür zu sorgen, dass das
kommende Menschlein mit Vater und Mutter behütet aufwachsen darf.
Ich nehme Andrea mit zu meinem Anwalt nach Zwickau der sich mit solchen Fragen gut auskennt
und auch mir schon behilflich war, einen DDR-Reisepass zu erhalten.
Wir erhalten die Auskunft, dass die Sache schwierig werden wird, aber nicht völlig aussichtslos sei.
Man müsse eben viel viel Geduld haben...........
Nun haben aber kleine Menschenkinder höchstens 9 Monate lang Geduld, dann wollen sie auf diese
Welt und so kommt es, wie es muß: Carolin wird geboren – nun auch zur Freude von Andreas
Eltern – und irgendwann muß „Antonio“, der ja eigentlich Luis heisst, wieder in seine Heimat abreisen. Jetzt steht den Dreien eine wirklich schwere Zeit bevor, aber wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass eine richtige Familie daraus werden kann, egal, ob hier oder weit weg, jenseits des
Atlantik. Es sind wohl viele Besuche beim Anwalt zu absolvieren, genau haben wir das nie gezählt und
inzwischen kann Andrea auch allein hinfahren. Immer wieder haben wir das Gefühl, wir sind noch
keinen Schritt weiter gekommen. Aber wir geben nicht auf.
Carolin wächst einstweilen behütet auf und ahnt von den Sorgen der großen Leute zum Glück nichts. Als sie dann reden kann, vertraut sie uns ihre „Sorgen“ an: Immer wenn einer sie auf ihre niedlichen Zöpfchen anspricht, oder gar versucht, daran zu ziehen, macht sie unmißverständlich klar: „MEINE MÖPFE“ !
Gott sei Dank, irgendwann kommt aus Zwickau die frohe Kunde: „Es darf geheiratet werden“. Und dann muss alles wieder mal recht schnell gehen. „Antonio“ kommt aus dem fernen Santo Domingo und bringt mancherlei Spezialitäten seiner Heimat mit. Wir lernen unter anderem Kochbananen kennen, die uns schon seltsam schmecken und auch andere exotische Kleinigkeiten. In der Johanniskirche soll die Trauung sein und gleichzeitig Carolin's Taufe. Es ist ein ganz besonderer Gottesdienst und ich bin bestimmt genau so aufgeregt, wie das Brautpaar.
Man hat ja nicht alle Tage eine internationale Trauung und noch dazu über diese Entfernung. Die Feier ist im „Cafe Nord“, das es schon lange nicht mehr gibt und wir sind froh und auch ein
wenig stolz, dass diese Etappe bewältigt ist.
Alles andere dürfte nun nur noch Formsache sein.
Aber ähnlich wie vor ca. 10 Jahren bei uns, lassen sich die Behörden schon noch ein wenig Zeit für
die „Formalitäten“. Diesmal sind es die DDR-Behörden. Letztendlich will Andrea das Land
verlassen und das geht nicht unter Beibehaltung der DDR- Staatsbürgerschaft. Warum das so ist,
weiss ich heute nicht mehr, vielleicht liegt es an bestimmten diplomatischen Beziehungen zwischen
der DDR und der Dominikanischen Republik. Jedenfalls müssen Mutter und Tochter zunächst für
staatenlos erklärt werden, bevor sie das Land verlassen dürfen. Und wenn ich recht erinnere, gibt es
dafür eine bestimmte Frist und einen vorgeschriebenen Reiseweg. Der soll über die Bundesrepublik
Deutschland zunächst nach Frankreich führen. Auf dem Flughafen Paris-Orly soll dann der Abflug
nach Venezuela sein, bevor von Caracas aus die letzte Etappe bis Santo Domingo bewältigt werden
kann.
Für den kleinen Moritz unvorstellbar kompliziert !
Zumindest auf dem europäischen Kontinent will ich den beiden Übersiedlern noch helfen können.
Als erstes geht es darum, ein Visum für die Französische Republik zu besorgen und das innerhalb
weniger Stunden. Faxgeräte und Internet gibt es noch nicht, so ist das Telefon meine einzige
„Waffe“.
Ich finde die Telefonnummer der französischen Botschaft in Ostberlin und nun beginnt ein wahrer
„Telefonmarathon“. (Leider habe ich mir die Telefonrechnung nicht aufgehoben.) Immer wieder
versuche ich, den Mitarbeitern der Botschaft die Brisanz unseres Falles zu erklären und immer
wieder stosse ich auf wenig Verständnis. Andere Länder haben halt auch ihre Bürokratie. Bis am
Ende mir doch versprochen wird, dass das Visum erteilt ist und irgendwie per Express zugestellt
werden soll. Die Einzelheiten habe ich nicht mehr gegenwärtig, aber ich bin mir sicher, dass auch in
diesem Fall der liebe Gott am diplomatischen Rad gedreht hat, denn es ist schier Unmögliches
möglich geworden.
Gleichzeitig telefoniere ich aber auch noch in eine andere Richtung. Ein Kollege aus Plauen hat mir
seine private Verbindung zu einer Pfarrerin aus Paris eröffnet, die zum Glück deutsch spricht, und
so kann ich diese Dame darum bitten, Carolin und Andrea an der französischen Grenzstation
Forbach abzuholen, nach Paris zu begleiten und bis zum Abflug zu betreuen. Wie gut, dass damals
nur ganz wenige Leute aus der DDR gleichzeitig nach Frankreich telefonieren wollten. So kommen
die Gespräche relativ schnell zustande und müssen nicht, wie in die Bundesrepublik, als „dringend“
und gegen doppelte Gebühr angemeldet werden. Der Abschied auf dem Oberen Bahnhof in Plauen ist bewegend. Die Familie ist vollzählig erschienen, auch wir sind da und nun gilt es, den beiden Reisenden unsere guten Wünsche und Gedanken mitzugeben auf die große Fahrt in eine fremde Zukunft. Es ist ein eigenartiges Gefühl, Menschen so loslassen zu müssen, „nur“ mit dem Vertrauen „der liebe Gott wird’s schon richten“! Wir wissen ja nicht, ob und wann wir uns jemals wiedersehen werden .... . Heute wissen wir, dass der liebe Gott es sehr gut gerichtet hat.
Nach etwa einem Jahr Aufenthalt in Santo Domingo fasst die junge Familie den Entschluss, künftig
wieder in Deutschland – diesmal aber auf der anderen Seite – leben zu wollen.
Die Vorzeichen sind günstig, in Bayreuth sind Wohnung und Arbeit vorhanden und wieder machen
sie sich auf einen langen Weg in eine ganz neue Zukunft......
Wieder sind es Andrea und Carolin, die allein zunächst den Rückweg in das andere Deutschland
antreten. „Antonio“ muss noch seinen Vertrag erfüllen und will nachkommen.
Nun erweist es sich mal wieder als recht segensreich, dass meine liebe Frau ein ständiges Visum
zum Besuch der Bundesrepublik besitzt. Es sind gerade Sommerferien und so kann sie sich mit
zweien unserer Buben auf den Weg nach Bayreuth machen, um für die „Heimkehrer“ das Nest zu
bauen – d.h. Die vorhandene Wohnung auf Vordermann bringen, ein wenig Vorräte besorgen und
warten, bis Mutter und Tochter nach dem langen Flug in der neuen Heimat ankommen.
Für die Jungs ist es ein großes Abenteuer, die beiden Frauen, Anne und Andrea, sind glücklich und
Carolin versteht die Welt nicht mehr. Muß sie wohl auch nicht.....
Ein gutes Jahr später dürfen wir uns dann alle wieder treffen. Die Mauer ist weg, wir leben alle
wieder in einem Land und keiner kann uns mehr trennen. Die „junge Familie“hat noch einmal
Zuwachs bekommen – Fabian – und ist gar nicht mehr so jung. Aber vergessen können wir alle
eines nicht:
Es sind oft seltsame Wege, die wir gehen müssen. Aber weil es Gottes Wege sind, führen sie halt
doch zum Ziel ..... .
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