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Samstag, 6. April 2013

Otto

Von Hubert Schierl

Es gibt Geschichten, die kann man nicht erfinden, die muss das Leben selber schreiben.


So wie diese: Himmelfahrtstag 1990. Deutschland ist so halbe halbe wieder vereinigt, keiner weiss so recht, wo es lang geht, alle Möglichkeiten sind offen ..... . Erstmalig fahren die Männer mit ihren Bierkisten und -fässern am Dreiländereck über die Grenze ins Oberfränkische nach Prex, keiner schaut hin, alle Hinderungsgründe sind vergessen, Grenzzaun und Wachturm sind nicht mehr...........

WIR SIND DEUTSCHLAND

Schön ist das und wir freuen uns darüber.

Auch ich bin unterwegs.

Kürzlich sind unsere Eltern aus Siebenbürgen nach Deutschland gekommen. Über 6 Jahre haben wir gekämpft, die beiden Altvorderen hierher zu bekommen.Unser Rechtsanwalt in Zwickau konnte uns auch nicht wirklich helfen.
Eigentlich wollten wir sie ja in die DDR übersiedeln lassen, aber das scheiterte trotz intensiver Bemühungen nicht nur seitens der DDR-Behörden. Die waren ja ganz lieb. Der grosse Genosse Ceausescu sagte „NJET“, als er von Herrn Honecker auf den Fall „Schierl / Löprich „angesprochen wurde. Und das war wirklich so...Am Ende durfte er sich den KARL-MARX-ORDEN abholen, der grosse Genosse. Half ihm aber auch nichts mehr, seine Tage waren gezählt.
Nun ist plötzlich alles ganz anders... . Die Eltern sind jetzt im Westen, wir im Osten.
Wir wollen in Prex (Westen) eine Wohnung für die Eltern meiner Frau herrichten , zumindest will ich dabei helfen, wir geben uns gemeinsam Mühe. Fred, der Vater von Siegfried, sitzt mit im Auto. Wir kommen nach Blosenberg, zum Grenzübergang nach Ullitz.
Die DDR -Grenzer möchten unsere Pässe sehen, Fred hat einen rumänischen Pass und deswegen dauert es etwas länger. Da schaut Fred nach hinten und sieht einen Mann mit Rucksack.
„Den kenn' ich“, sagt Fred und gibt mir zu verstehen, dass der Mann im Hintergrund ein Bekannter von ihm ist, mit dem gemeinsam er in Kronstadt / Brasov / Siebenbürgen seinen Pass abgeholt hat. Otto – wie wir später erfahren – war schon einige Tage unterwegs. Er kam wirklich aus dem Kreis Kronstadt und er hat wirklich seinen Pass gemeinsam mit Alfred abgeholt.
Nun war er unterwegs nach dem Westen, aber ohne Ziel.
Der bayerische Grenzbeamte schickt ihn zurück. Otto hat keinen Grund - und kein Visum!
Otto ist verzweifelt und geht wieder. Der Westen ist ihm versperrt, so scheint es. Und dabei wollte er doch nur mal „Hof sehen“.
Auch ich bin einige Stunden später wieder auf dem Heimweg nach Straßberg. In der Höhe Autobahnbrücke Pirk sehe ich OTTO, ziemlich deprimiert auf dem Rückweg von der Grenze Richtung Plauen laufen. Sein Rucksack scheint mir noch viel schwerer, er kann nicht mehr... . „OTTO“, sage ich, Sie heissen wohl „OTTO.“ .... und Sie kommen wohl aus dem Kreis Kronstadt in Rumänien ... . 
„Woher wissen Sie das?“ ...
Nun, ein Wort gibt das andere. Am Ende sitzt OTTO in meinem Wartburg-Auto, verschwitzt, verhungert und eingeschüchtert, weil er nicht genau weiss, mit wem er es zu tun hat. Ich könnte ja auch einer von der „Firma“ sein. Bin ich aber nicht.


Ich nehme ihn mit nach Straßberg – erst mal „runderneuern“, Badewanne, was essen usw.... Aber der bayrische Grenzer, mit dem ich über OTTO geredet habe, hat mir gesagt: Komm' wieder, solange ich noch im Dienst bin, dann kann der OTTO doch noch nach Hof und – wenn Du es mir versprichst, dass Du ihn nach Nürnberg in das Aufnahmelager bringst, dann darf er auch bleiben. Also muss alles schnell gehen. Meine Jungs machen was zum Essen, OTTO geht unter die Dusche und dann geht es schon wieder ab in Richtung Ullitz, nach dem Westen.
Kaum zwei Stunden sind vergangen. OTTO ist fit und im Westen. Gerade sind wir in Ullitz über den Grenzstreifen gefahren, da soll ich mal anhalten. Er muss mal... . Und dann geschieht das ganz Besondere: OTTO kniet nieder und küßt den westdeutschen Boden. Irgendwie ist er angekommen. 
Soweit ich weiß, lebt OTTO derzeit in Bad Berneck, es ist also eine wahre Geschichte......... 

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