Von Hubert Schierl
Zwei Jahre kenne ich Jan jetzt schon,
den Pfarrerssohn aus dem Riesengebirge, dessen Vater
wegen seines Widerstandes gegen die Deutschen selber für einige Zeit im
deutschen KZ-Lager war.
Viele Dinge weiß ich ja. Ich kenne die Hausnummer von Vaters Elternhaus und
stehe plötzlich davor. Klein kommt es mir vor, viel kleiner, als Vater es
mir erzählt hat. Aber nun stehe ich davor und wage den Druck auf den
Klingelknopf.
Leider ist Pfarrer Semeradt schon verstorben, ich kann ihn nicht mehr kennen lernen, aber seine Frau, die Schwester von Pfr. Lastovka aus Marienbad, ist die Mutter meines lieben Freundes. Sie arbeitet inzwischen in Podersam / Podborany in Mittelböhmen als Lehrerin, also genau in dem Gebiet, aus dem mein Vater stammt – unmittelbar an der ehemaligen Sprachgrenze zwischen deutscher und tschechischer Bevölkerung. Da liegt es schon nahe, dass ich meinen Freund Jan darum bitte, mir die Heimat meines Vaters zu zeigen, von der ich aus Erzählungen so unheimlich viel weiss, das ich manchmal denke, ich sei selber dort groß geworden.
Und so fahren wir eines Tages mit dem Bus nach Woratschen / Oracov und erkunden das Dorf, in dem der Vater seine Kindheit verbracht hat und das für ihn ein wahres Märchenland geworden ist in der Verklärung der Vergangenheit. Für Jan ist es auch schwierig, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, aber da müssen wir durch.... Jeder muß mit seiner Vergangenheit klar kommen – später werden wir spüren, dass uns eben diese verschiedene Vergangenheit zu Brüdern macht!
Eine Frau kommt mir zögerlich entgegen, in der Hand ein Schriftstück. Sie hat uns wohl gesehen, meinen Freund Jan und mich und vorsichtshalber schon mal die Kaufurkunde für das Haus mitgebracht. Vielleicht waren zu der Zeit mehr „Ehemalige“ unterwegs ?? Ich habe mit Hilfe von Jan jede Menge zu tun, der guten Frau zu erklären, dass wir nicht das Haus enteignen wollen, sondern ich nur sehen möchte, wo meine Großmutter Brot gebacken hat... . Dann wird sie ganz zugänglich und ich darf mir alles anschauen ... die Stuben, den Backofen das Nebengelass, den Stall - und ein Stück Geschichte wird für mich Gegenwart.Plötzlich stehen die Erzählungen des Vaters plastisch vor mir und ich erlebe nach, was er als Bursche erlebt hat. Für einen damals 19-jährigen Studenten am Ende des ersten Studienjahres wahrlich eine große Aufgabe ... .
Wir ziehen weiter die Dorfstraße hinab, an der Mittelmühle vorbei Richtung Dorfplatz, wo die katholische Kirche steht. Das Gebäude ist natürlich verschlossen und macht auch einen ziemlich verfallenen Eindruck, aber ich fühle nach, dass der Vater vor Jahren hier ein- und ausgegangen ist, als Ministrantenbub sich vielleicht den einen oder anderen Streich erlaubt hat – vielleicht haben die damaligen Ministranten auch schon mal heimlich vom Messwein des Pfarrers gekostet ... . Und ich fühle den Hauch der Geschichte an mir vorüberziehen.
Leider ist Pfarrer Semeradt schon verstorben, ich kann ihn nicht mehr kennen lernen, aber seine Frau, die Schwester von Pfr. Lastovka aus Marienbad, ist die Mutter meines lieben Freundes. Sie arbeitet inzwischen in Podersam / Podborany in Mittelböhmen als Lehrerin, also genau in dem Gebiet, aus dem mein Vater stammt – unmittelbar an der ehemaligen Sprachgrenze zwischen deutscher und tschechischer Bevölkerung. Da liegt es schon nahe, dass ich meinen Freund Jan darum bitte, mir die Heimat meines Vaters zu zeigen, von der ich aus Erzählungen so unheimlich viel weiss, das ich manchmal denke, ich sei selber dort groß geworden.
Und so fahren wir eines Tages mit dem Bus nach Woratschen / Oracov und erkunden das Dorf, in dem der Vater seine Kindheit verbracht hat und das für ihn ein wahres Märchenland geworden ist in der Verklärung der Vergangenheit. Für Jan ist es auch schwierig, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, aber da müssen wir durch.... Jeder muß mit seiner Vergangenheit klar kommen – später werden wir spüren, dass uns eben diese verschiedene Vergangenheit zu Brüdern macht!
Eine Frau kommt mir zögerlich entgegen, in der Hand ein Schriftstück. Sie hat uns wohl gesehen, meinen Freund Jan und mich und vorsichtshalber schon mal die Kaufurkunde für das Haus mitgebracht. Vielleicht waren zu der Zeit mehr „Ehemalige“ unterwegs ?? Ich habe mit Hilfe von Jan jede Menge zu tun, der guten Frau zu erklären, dass wir nicht das Haus enteignen wollen, sondern ich nur sehen möchte, wo meine Großmutter Brot gebacken hat... . Dann wird sie ganz zugänglich und ich darf mir alles anschauen ... die Stuben, den Backofen das Nebengelass, den Stall - und ein Stück Geschichte wird für mich Gegenwart.Plötzlich stehen die Erzählungen des Vaters plastisch vor mir und ich erlebe nach, was er als Bursche erlebt hat. Für einen damals 19-jährigen Studenten am Ende des ersten Studienjahres wahrlich eine große Aufgabe ... .
Wir ziehen weiter die Dorfstraße hinab, an der Mittelmühle vorbei Richtung Dorfplatz, wo die katholische Kirche steht. Das Gebäude ist natürlich verschlossen und macht auch einen ziemlich verfallenen Eindruck, aber ich fühle nach, dass der Vater vor Jahren hier ein- und ausgegangen ist, als Ministrantenbub sich vielleicht den einen oder anderen Streich erlaubt hat – vielleicht haben die damaligen Ministranten auch schon mal heimlich vom Messwein des Pfarrers gekostet ... . Und ich fühle den Hauch der Geschichte an mir vorüberziehen.
Es ist ein eigenartiges
Gefühl ... . Als wir dann
letztendlich der Kirche gegenüber vor dem Haus der Frau Weinert stehen, ist
der Schock perfekt: „Jessas na, der Koarl“, ruft es nach unserem
Klopfen und der ersten Sichtprüfung aus dem Hof hinter der verschlossenen
Pforte. Da ist wohl wirklich für die Frau Weinert die Zeit stehen geblieben
und sie verwechselt mich mit meinem Vater, der in meinem jetzigen Alter damals
die Heimat in Richtung Wehrmacht und Krieg verlassen hat. Schnell ist
zumindest dieses Mißverständnis aufgeklärt, aber mit meinem Freund Jan will sie
sich noch nicht anfreunden. Es kostet mich einige Mühe, dass er auch
Zutritt zum Hause Weinert bekommt und ihm gegenüber ist es mir schon
peinlich - schließlich befinde ich mich auf tschechoslowakischem
Staatsgebiet ... .
Am Ende kann ich alles aufklären und man versteht sich. Schön – ein wenig Versöhnung haben wir schon mal geschafft!Wir gehen den Dorfplatz hinunter bis zur Brücke und dort treffen wir noch Frau Schnabel. Beide Frauen, Frau Weinert und Frau Schnabel durften bleiben bei der großen Vertreibung, weil sie für den tschechoslowakischen Staat wichtig waren, sei es durch Heirat oder durch den Beruf.
Am Ende kann ich alles aufklären und man versteht sich. Schön – ein wenig Versöhnung haben wir schon mal geschafft!Wir gehen den Dorfplatz hinunter bis zur Brücke und dort treffen wir noch Frau Schnabel. Beide Frauen, Frau Weinert und Frau Schnabel durften bleiben bei der großen Vertreibung, weil sie für den tschechoslowakischen Staat wichtig waren, sei es durch Heirat oder durch den Beruf.
Und beide Frauen können mir erzählen wie es früher war.
Es ist ja
gerade mal 30 Jahre her, aber unsere – die Sicht von Jan und mir – ist eine
anderegeworden.
Wir waren nicht dabei. Wir fühlen uns durch den gemeinsamen Glauben an denliebenden
Gott verbunden und so spielen die Grenzen der Nationalität keine Rolle mehr,
wir sind nur noch Brüder. So wird
Geschichte plötzlich lebendig und ich werde lange zu denken haben an dem, was
ich da erlebe. Auch diese
Ferienzeit vergeht und es kommt das besondere Jahr 1968 mit dem Prager Frühling .
Und nun bin ich mit meinen Eltern unterwegs nach Woratschen, dem Heimatort des Vaters. Von Marienbad aus fahren wir hin, weil ich nun meinerseits dem Vater die Heimat erklären will. Welch' Unterfangen !!!
All die Jahre hat er darunter gelitten, sein Zuhause verloren zu haben, nun in diesem besonderen Jahr steht es auch ihm offen. Alles ist ja anders in diesem Jahr. So stehen wir wieder vor der Kirche in Woratschen, wo der Vater als Bub daheim war. Und wir wagen uns hinein, denn diesmal kann ich gemeinsam mit Jan für offene Türen sorgen. Für den Vater ist es ein schwerer Gang durch die offene Kirchentür, aber er wagt den Schritt über die Schwelle. Und da überkommt ihn die ganze Geschichte seiner Kindheit, er erlebt scheinbar im Schnelldurchlauf alles noch einmal. Für einen Moment habe ich Angst um ihn, denn er scheint am Ende seiner Kraft. Es schüttelt ihn, er weint. Doch dann ist er ein anderer Mensch. Es ist eine Last von ihm abgefallen. Plötzlich kann er drüber reden, was einmal war. Vielleicht hat ihm der liebe Gott selber den Mund und das Gemüt geöffnet in diesem Moment in seiner Heimatkirche, als ihn die Geschichte eingeholt hat.
Und nun bin ich mit meinen Eltern unterwegs nach Woratschen, dem Heimatort des Vaters. Von Marienbad aus fahren wir hin, weil ich nun meinerseits dem Vater die Heimat erklären will. Welch' Unterfangen !!!
All die Jahre hat er darunter gelitten, sein Zuhause verloren zu haben, nun in diesem besonderen Jahr steht es auch ihm offen. Alles ist ja anders in diesem Jahr. So stehen wir wieder vor der Kirche in Woratschen, wo der Vater als Bub daheim war. Und wir wagen uns hinein, denn diesmal kann ich gemeinsam mit Jan für offene Türen sorgen. Für den Vater ist es ein schwerer Gang durch die offene Kirchentür, aber er wagt den Schritt über die Schwelle. Und da überkommt ihn die ganze Geschichte seiner Kindheit, er erlebt scheinbar im Schnelldurchlauf alles noch einmal. Für einen Moment habe ich Angst um ihn, denn er scheint am Ende seiner Kraft. Es schüttelt ihn, er weint. Doch dann ist er ein anderer Mensch. Es ist eine Last von ihm abgefallen. Plötzlich kann er drüber reden, was einmal war. Vielleicht hat ihm der liebe Gott selber den Mund und das Gemüt geöffnet in diesem Moment in seiner Heimatkirche, als ihn die Geschichte eingeholt hat.
Ich kann es
nicht wirklich verstehen, weil ich es nicht erlebt habe, aber ich bin dankbar,
dass ich von diesem Moment an mit meinem Vater über Dinge reden darf, die
bisher tabu waren. Nun ist er wirklich mein Vater.
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