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Donnerstag, 4. April 2013

Die Reise nach Siebenbürgen I

Von Hubert Schierl

Was wäre gewesen, wenn Günter seine Abschlußprüfung bei der Deutschen Post nicht so gut
bestanden hätte ? Vielleicht wäre mein ganzes Leben anders gelaufen...
Aber von vorn:
Im Jahr 1971 habe ich mein 10. Semester am Theologischen Seminar zu Leipzig erfolgreich absolviert und die Semesterferien können beginnen. Endlich Sommer, Freizeit und sogar begrenzte FREIHEIT. 
Günter und ich planen schon seit Monaten eine Tramp-Tour durch die CSSR. Drei Jahre ist es nun her, seit die „befreundeten Armeen der sozialistischen Bruderstaaten“ die vermeintliche Konterrevolution in der CSSR – besser bekannt als „Prager Frühling“ gewaltsam beendet haben und wir wollen schauen, wie es inzwischen in diesem schönen Land aussieht. Meine Mutter hat uns sogar schon ein Zweimannzelt von Quelle aus dem Westen besorgt und die gedanklichen Vorbereitungen für die Reise laufen auf Hochtouren. Da schreibt mir Günter nach Leipzig, dass er nunmehr seine Lehre bei der Deutschen Post beendet habe und für seine sehr guten Leistungen eine Auszeichnungsfahrt in die Sowjetunion, speziell in den Kaukasus, erhalten soll. Das wolle er sich doch wirklich nicht entgehen lassen. Wer weiß, wann mal wieder so eine Gelegenheit ist??? 
„Aber was wird aus mir ?“ - schreibe ich ihm zurück....
„Kein Problem, Dich schicke ich nach Siebenbürgen in Rumänien.“ Im Vorjahr war Günter selber in Rumänien und hatte einige Kontakte geknüpft, unter anderem zu einem Studenten der Kirchenmusikschule in Hermannstadt. Zu eben diesem Hans wolle er mich schicken, meint er. Und so erhalte ich schon kurze Zeit später Post aus Hermannstadt. Hans schickt mir eine offizielle Einladung nach Siebenbürgen, legalisiert durch viele schöne Stempel der rumänischen Polizei. Die braucht man damals, um eine „Reiseanlage zum Personalausweis der Deutschen Demokratischen Republik für den visafreien Reiseverkehr“ (Man beachte die Wortschlange!!) nach Rumänien überhaupt beantragen zu dürfen. Ich bedanke mich höflich bei Hans, erzähle ein bisschen von mir, von Leipzig und vom fröhlichen Studentenleben und bitte ihn, mir doch bald wieder zu schreiben, um mir die Modalitäten für meine Reise mitzuteilen. Ein wenig komisch ist es mir schon um's Herz, denn so weit war ich noch nie gefahren. Aber mein Vater, der als Soldat im (jugoslawischen) Banat war, kann mir ein paar „Heiße Ratschläge“ erteilen und nun bin ich neugierig auf eine Fahrt ins „Operettenland“.... Gräfin Maritza und der Zigeunerbaron fallen mir ein und ich beginne mich zu freuen. Irgendwann kommt auch noch einmal ein Brief von Hans und dann höre ich erst mal eine ganze Weile gar nichts mehr, bis dann endlich, endlich im Mai wieder ein Brief mit rumänischer Briefmarke in meine Studentenbude flattert.
Aber diesmal schaut die Handschrift viel ordentlicher aus, als die von Hans. Die Straße und Hausnummer des Absenders sind zwar die selben, wie bei Hans, aber der Name ist anders. Plötzlich heißt der Hans „Anneliese“. Gebannt mache ich den Brief auf und lese zu meiner Überraschung, daß der Hans meine Post kurzerhand einer Mitstudentin in die Hand gedrückt hat, weil er selber ein wenig arg schreibfaul ist. Soll sie doch den Kontakt weiter pflegen, wenn sie mag. Ansonsten bliebe alles beim alten, die Einladung steht, nur eben wolle er nicht dauernd Briefe schreiben. Ja, und wenn ich sowieso vorhätte, nach Siebenbürgen zu kommen, dann solle ich doch auch in Martinsdorf mal vorbeischauen, ihrem Heimatort. 
So überrascht ich von dieser abermals veränderten Situation bin, so steif fällt meine Rückantwort aus: „Sehr geehrtes Fräulein Anneliese...“ - beginne ich mein Schreiben. (Aus heutiger Sicht einfach schrecklich, diese Anrede eines damals 23-jährigen für eine gerade 18 Jahre alte junge Dame....!). 
Es mögen noch zwei, drei Briefe hin und her gegangen sein, dann ist es endlich soweit. Koffer und Tasche werden gepackt, ein paar kleine Geschenke sind drin – vor allem ein Geschenk zu einer siebenbürgischen Hochzeit, denn eine Solche erwartet mich in Hetzeldorf, dem Heimatort von Hans. 
Die Reiseanlage habe ich schon vor einigen Tagen abgeholt, nun kann ich mir eine Fahrkarte kaufen. Dank des „Internationalen Studentenausweises“, den mir mein lieber Freund Jan aus Prag über seine Karlsuniversität besorgt hat, kostet mich die Reise Leipzig – Hermannstadt – Leipzig gerade mal 80 Mark der DDR. Guter Tarif für über 3000 Eisenbahnkilometer. Ein Telegramm geht nach Hetzeldorf: „Komme dann und dann“ und ich rechne mit einer Fahrzeit von 2 Tagen. - Ein lustiger Irrtum, wie sich bald herausstellen wird, denn der „Balt – Orient – Express“ ist bereits nach reichlich 24 Stunden am Ziel meiner Wünsche. 
Nach einmaligem Umsteigen und einer kurzen Fahrt mit dem Vorortzug stehe ich in aller Herrgottsfrühe auf einem einsamen Haltepunkt und komme mir sehr verloren vor. Weit und breit kein Haus, kein Hans, ja überhaupt kein Mensch, nur ein Hinweisschild an einer verwaisten Straßenkreuzung: „ATEL 4 km“ (Atel ist die rumänische Bezeichnung für Hetzeldorf – so schlau bin ich schon.). 
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mein Gepäck aufzunehmen und mich auf den Weg bergauf zu machen. Zum Glück ist es noch früh am Tag, die Sonne scheint strahlend und es ist noch kühl. Vier Kilometer mit schwerem Koffer und Reisetasche – das kann dauern. Die Straße ist auch nur festgefahrener Schotter und die Steine drücken sich durch die Schuhsohlen. Da kommt mir nach einem knappen Kilometer ein Pferdefuhrwerk entgegen. Darauf ein paar Leute im bäuerlichen Outfit (damals sagte man noch anders...). Und die halten doch wirklich neben mir und reden mich in deutscher Sprache, mit leicht fremdem Akzent, aber sehr deutlich an. Ob ich der Student „von Oben“ sei, sie meinten, ob ich aus Deutschland käme - aus dem Osten, wie sie hinzufügten und ob ich zu der und der Familie wolle? Nachdem ich das bejahe, erklären sie mir, dass ich einen ganzen Tag zu zeitig sei, ich würde erst morgen erwartet und die Mutter von Hans sei mit dem Bus in die Stadt gefahren, Besorgungen machen. Sie selber „zögen zwar gerade in' s Feld“, sie meinten damit, dass sie ihre Arbeit auf dem Heuacker beginnen wollten, aber ich solle nur aufsteigen mit meinem „Pack“ (gemeint sind meine Koffer), sie führen mich die restliche Strecke bis Hetzeldorf. So einem jungen Studenten müsse man doch helfen. (Ich weiß nicht, warum ich just in diesem Augenblick an „PIROSCHKA“ denken muss??). 
Also: Das ganze kehrt und zurück, so schnell die Pferdchen mögen. 
Und dann stehe ich vor einem scheinbar verschlossenen Haus und rufe. „Hans – Hans“! Es dauert eine ganze Weile, da geht der Fensterladen auf und ein offensichtlich verschlafenes Gesicht schaut mich fragend an. Was ich denn heute schon wolle, die Mutter sei nicht da, aber da ich nun einmal da sei, solle ich nur reinkommen. Ich betrete eine saubere Küche, kann mich ein wenig frisch machen nach der Reise und wenig später ist eine hilfreiche Nachbarin zur Hand, schneidet herrlich duftendes helles Brot und stellt es samt einer Tasse Tee und einem Kaffeetopf voll mit einer weißen Masse, die an Butter erinnert vor mich hin. Es sei Büffelrahm, erklärt sie und ich solle nach der langen Fahrt nur kräftig zulangen. Nun, ich lasse mich nicht lumpen und gut erzogen, wie ich bin, löffle ich den Topf auch aus. Die fragenden Blicke meiner Gastgeber nehme ich nicht wahr. Dazu bin ich wohl auch zu müde. Erst einige Stunden später wird mir klar, dass Büffelrahm nicht nur gut schmeckt, sondern rückwärtige Darmpartien auch gut schmiert. Für die nächsten ein bis zwei Stunden gehört das „Herzhäuschen“ mir. Seither habe ich zu Büffelrahm ein eher gespaltenes Verhältnis ... . Die Tage in Hetzeldorf vergehen wie im Flug. Gemeinsam mit Hans und seinem Bruder Lorenz bin ich viel unterwegs. Sie wollen mir ihre schöne Heimat zeigen. Per pedes geht es über Stock, Stein und Berge hinüber nach Birthälm, einer herrlichen siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburg. Ich erfahre, dass eben diese Burg früher der Bischofssitz der siebenbürgischen Landeskirche war (heute ist das Hermannstadt), dass die ursprünglichen (nieder)-sächsischen Kolonisten sich schon bald nach ihrer Einwanderung vor über 800 Jahren gegen die Reitervölker aus dem Osten wehren mussten. Dafür waren sie ja vom damaligen ungarischen König ins Land geholt worden und aus diesem Grund hatten sie sich solch stolze Wehranlagen gebaut. Da sie offensichtlich auch sehr gläubige Leute waren, legten sie ihre Wehranlagen gleich als Kirchenburg an. Es ist ein überwältigendes Gefühl, über solch geschichtsträchtigen Grund zu schreiten. Aber auch die Stadt Mediasch wird erkundet und ich erfahre, dass ich da in einer Industriestadt bin, was auch unschwer an den rußgeschwärzten Dächern und Fassaden der Häuser zu erkennen ist. Auch die Wäsche der Hausfrauen hängt ziemlich grau in den Höfen. Aber die Stadt hat mehr zu bieten. Wir betreten die Rumänisch-Orthodoxe Kathedrale, drehen eine Runde auf dem „Ring“, dem zentralen Platz der Stadt, statten der Evangelischen Margarethenkirche unseren Besuch ab und fahren schließlich mit dem Bus zurück nach Hetzeldorf. 
Ja, und dann ist Hochzeitsvorbereitung angesagt. Drei Tage mindestens sind tüchtige Hausfrauen aus der Nachbarschaft damit beschäftigt, Brot und Kuchen zu backen, das frisch geschlachtete Schwein zu präparieren, Hühner „abzutun“, will sagen, zu schlachten, um genug Braten und Suppe zu haben für die erwarteten ca.300 Gäste. Die Männer besorgen derweil den Wein und unterziehen ihn auch der nötigen Gütekontrolle, selbst gebrannter Pflaumenschnaps wird dazu gestellt und die Jugend des Dorfes ist damit beschäftigt, den Saal des Kulturhauses hochzeitlich herzurichten. Reihum müssen ein paar Männer auch nachts Wache halten, damit keiner vorzeitig anfängt zu feiern. Am Tag vor der Hochzeit gehen die Vorbereitungen dann in die „Zielgerade“. Mitten in der Nacht müssen wir aufstehen und dann ziehen wir, die jungen Leute, unter Gesang und mit großem Getöse von Haus zu Haus und bitten die Frauen zur Arbeit auf's Hochzeithaus. Jeder oder jede, den oder die wir treffen muss mal anstoßen auf das Glück des jungen Paares und dann geht es an die letzten Arbeiten, sozusagen den Feinschliff. Der Tag der Hochzeit beginnt mit einem mir fremden Zeremoniell im Saal des Kulturhauses: Die Familien von Braut und Bräutigam stellen sich einander gegenüber auf und dann haben die Brautleute die Aufgabe, sich bei der eigenen Familie zu verabschieden, für eine glückliche Kindheit zu danken und für alle Verfehlungen um Vergebung zu bitten. Nachher werden sozusagen „die Seiten gewechselt“, die Brautleute begeben sich zur jeweils anderen Familie und bitten in aller Demut darum, in diese neue Familie aufgenommen zu werden. Ein wahrhaft schöner Brauch und zu diesem Zeitpunkt kann ich mir noch gar nicht vorstellen, dass ich genau diesen Brauch zwei Jahre später selber vollziehen werde. Sodann begibt sich die ganze festliche Hochzeitsgemeinde in die ehrwürdige Kirchenburg von Hetzeldorf, wo in einem feierlichen Gottesdienst die Trauung vollzogen wird.Es ist überwältigend: Da befinde ich mich mitten in Rumänien und erlebe einen evangelischen Gottesdienst in deutscher Sprache. Mir geht es eiskalt über den Rücken, so bin ich mitgenommen. Nachdem der offizielle Teil beendet ist, wird es aber noch nicht so richtig gemütlich, nein, erst setzt sich der ganze Hochzeitszug noch einmal in Bewegung zum Hochzeithaus. Dort steht auf dem Hof ein sehr großer Tisch, hinter den sich die Brautleute mit ihren Eltern stellen und nun beginnt der große Vorbeimarsch der Gäste und jeder wird seine guten Wünsche und natürlich auch sein Geschenk los. Die Männer schenken Geld – und das nicht zu knapp – die Frauen „was Praktisches“. Nur ich falle aus der Rolle und habe auch „was Praktisches“, weil ich das ja nicht wissen konnte. Aber dann geht’s los. Im Saal sind inzwischen die langen Tafeln festlich gedeckt, jeder sucht sich seinen Platz, der Herr Pfarrer hält ein kurzes Tischgebet, es erklingt ein Tusch von der Musikkapelle und dann tragen in einer langen Schlange weiß beschürzte junge Männer die herrliche Hühnersuppe auf. Ich weiß natürlich nicht mehr, wie viele solche gackernden Lebewesen ihr selbiges aushauchen mussten, aber den Geschmack kann ich mir nach über 40 Jahren noch gut vorstellen. Nach der langen vorangegangenen Zeremonie schmecken Suppe und Braten natürlich vorzüglich und dann nehmen die Dinge ihren Lauf: Tanzen, was das Zeug hält, solange die Schuhsohlen mitmachen... . 
An Schlaf denkt in dieser Nacht keiner, dafür ist später Zeit.



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