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Mein Onkel und ich wünschen Euch viel Spaß beim Lesen und Staunen!

Sonntag, 24. November 2013

Die Katze Maunz



Es ist wohl so Ende der 70-er Jahre, unsere zwei „Großen“ - aber das wissen wir damals ja noch nicht, weil an den Benjamin noch keiner denken konnte - also, unsere zwei Großen toben in der Wohnung herum.
Dank unserer großen Diele können sie sich dort auch austoben, indem sie mit den Dreirädern, die sie sich aus dem Westen mitgebracht haben, immer wieder um den großen ovalen Tisch fahren, der an so manchem Sonntag so viele Gäste gesehen hat. Schön ist das, wenn nach dem Gottesdienst ein paar Leute sagen: Ach, wir haben noch was im Kühlschrank, wir auch und wir auch............. lasst uns das zusammentun, eine Soljanka gibt es allemal...........


Und so ist am Sonntag nach dem Gottesdienst immer allerhand los im Straßberger Pfarrhaus. Unsere Freunde aus der Markusgemeinde in Plauen sind meist noch unverheiratet und damit auch ohne Kinder, so bietet sich das Pfarrhaus zu Straßberg einfach an. Wir hocken zusammen, essen unsere Mahlzeit und freuen uns, dass wir miteinander reden können.Wir sprechen über das, was uns an dem Land, in dem wir leben, nicht gefällt und darüber, wie wir es besser machen könnten. Unsere Kinder werden von allen geliebt und manchmal bleibt auch jemand über Nacht und das ist gut so.
Mitten in dieser herrlichen Idylle taucht doch eines Tages ein junges Kätzchen bei uns auf. Irgendwie hat sie den Weg in die erste Etage geschafft und steht nun plötzlich in unserer Diele vor der Tür zur Küche, maunzt ein paarmal und verschafft sich ob ihres lieben Gesichtes sofort Eintritt in die heiligen Hallen der Hausfrau. Schwarz mit einem ganz freundlichen Gesicht, so präsentiert sich uns dieses kleine Kätzchen. Wer vermag ein solch niedliches Tierchen wieder dem „grausamen Alltag“ anheimzugeben ? Also bekommt „Maunz“ zunächst mal ein Schälchen Milch, um den ersten Hunger zu stillen. Und genau das ist der „Fehler“, denn die liebe Maunz belässt es nicht bei der einen Schale Milch, sie will mehr, sie will ein Zuhause. Und so sehr wir uns bemühen, dieses liebe Tierchen wieder los zu werden – das wird nichts. Keiner will sie gesehen haben im Dorf, keinem soll sie gehören, also bleibt sie da.
Die Kinder sind begeistert und so hat „Maunz“ ihren festen Platz als Pastorenkatze zu Straßberg, schon mal wegen ihres weißen Lätzchens auf dem schwarzen „Talar“, und damit alle Chancen, sich zur „First-Lady“ in Katzenkreisen in Straßberg zu entwickeln – was sie späterhin auch weidlich ausnutzt....................
Die beiden „Großen“ dürfen zunächst so ziemlich alles mit ihr anstellen. Natürlich muss die Katze mit ins Bett, natürlich darf sie mit auf den Dreirädern fahren und ganz natürlich kommt sie später mit auf den Kletterbaum, den die Großen sich im Pfarrhof „ausgeguckt“ haben.
Wohl deshalb übt Maunz später mit ihren eigenen Kindern das Bäume-Klettern. Aber dazu nachher....
Ja, der Kletterbaum: Das ist ein wilder Apfel, der sich an der Grundstücksgrenze angesiedelt hat und von den Kindern dazu erkoren wurde, ihr zweites Zuhause zu sein. Jede freie Minute verbringen sie dort, nageln sich aus altem Holz Leitern zum besteigen, bauen Zwischenböden ein – drei Etagen sind es wohl zuletzt - überdachen das alles kunstvoll mit allem, was sie an geeignetem Material finden und immer wenn die Nägel knapp werden, muss ich mit ihnen nach Oelsnitz zum Großvater fahren – Nachschub besorgen. Der Opa Karl steigt dann in seinen Schuppen und holt aus seinen unergründlichen Schachteln immer neues Nagelgut, sei es denn auch schon etwas verbogen und verrostet. Das wird dann gemeinschaftlich gerichtet. Da sind Großvater und Enkel eine eingeschworene Gemeinschaft. Und wenn es bei ihm selber mal knapp wird, besorgt er eben neue Nägel. So besteht der Kletterbaum zuletzt gefühlt wohl zur guten Hälfte aus Metall, überlebt es aber auf wundersame Weise und bringt jedes Jahr herrliche goldgelbe kleine Äpfelchen, die uns zum Erntedankfest immer wieder als Kirchenschmuck dienen. Genießbar sind sie eher nicht !
Leider hat man später dieses „Denkmal“ abgeholzt und somit einen „Stolperstein“ in der Geschichte der Straßberger Pfarrerskinder beseitigt. 

 Als die Großen zu guter Letzt sich noch einen „Ofen“ einbauen und den dann auch noch mit

großem Qualm in Betrieb nehmen, muss ich die Notbremse ziehen und mittels Gartenschlauch die Geschichte beenden, bevor das gesamte Anwesen in Flammen steht.
Aber zurück zur „Maunz“: Aus Kätzchen wird Katze, aus zwei Kindern werden drei, der Benjamin ist auch da und macht aus den „Großen“ die „ganz großen“ Brüder und die haben ihn derart lieb, dass der kleine Mann nur durch Zeichensprache kundtun muss, welches sein Begehr ist. Darauf wird ihm buchstäblich jeder Wunsch erfüllt.


Es wundert also nicht, dass er erst ziemlich verspätet mit dem Reden und Laufen beginnt. Er hat es einfach nicht nötig..........
Maunz hingegen bekommt es schon ganz schön „nötig“ und ehe wir uns versehen, beglückt sie uns mit ihrem ersten Nachwuchs.


Zum Glück ist der Benjamin dem Stubenwagen, in dem ich selber schon meine ersten Monate verbrachte und der auch den „Großen“ als erste Behausung diente, inzwischen frei geworden und so wählt sich die werdende Katzenmutter ausgerechnet dieses Teil, das inzwischen auf dem Wäscheboden steht, zur Kinderstube für ihre Jungen.
Allerdings wartet sie dann doch – wie jedes mal, wenn sie in „Kindsnöten“ ist - auf meine liebe Frau, die sozusagen zur Katzenhebamme wird, um den Nachwuchs auch ganz sicher auf die Welt zu bringen.
So wird die Mutter der Kirchgemeinde auch noch zur „Katzengroßmutter“. Das Vertrauen eines Tieres in uns Menschen macht schon tiefen Eindruck.
So sind wir nun also eine Großfamilie. Neben unseren Kindern haben wir noch eine kleine Schar an jungen Katzenkindern, die wir auch betreuen müssen.
Obwohl Maunz es uns da recht leicht macht. Sie kann ihren Nachwuchs recht gut selber erziehen und ich denke an die Begebenheit, als sie mit ihrer Kinderschar die beiden Etagen nach unten geht und dem Nachwuchs den Hof zeigt. Die Kleinen tummeln sich vor der Haustür im Sonnenschein, freuen sich ihres Lebens, bis eines auf die Idee kommt, das die dort wachsende Kastanie doch auch für Katzenkinder ein guter Lebensraum oder Lebensbaum sein könnte.
Und wo ein Katzenkind ist, sind die anderen auch, zum Schluss sitzen sie alle in einer Astgabel und trauen sich nicht mehr zurück auf die Erde. Mutter Maunz sitzt unten und ist zunächst ratlos. Wir können ihr auch nicht helfen, denn selbst für uns ist die Astgabel zu hoch und die Leiter reicht auch nicht.. So vergehen bange Minuten. Wir sind schon drauf und dran, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und sonst wen anzurufen, da nimmt „Mutter Maunz“ all ihren Mut zusammen, klettert auf den Baum und holt eins nach dem andern von ihren Kindern im „Rückwärtsgang“ wieder runter. Unten angekommen versammelt sie ihre Kinderschar um sich und dann geschieht, was jeder menschlichen Mutter zur Ehre gereichen würde: Eins nach dem andern der Katzenkinder bekommt eine „Ohrfeige“ mit der Vorderpfote, untermalt von knurrenden Lauten, die besagen könnten: „Das macht Ihr aber nicht noch einmal !!“
Die Kinderschar hat begriffen und derartige Vorkommnisse finden nicht mehr statt.
Spätere Kinder von Maunz kommen dann wohl gar nicht mehr auf die Idee.
So vergehen die Jahre. Jedes Jahr gibt es neue kleine Katzen und immer können wir sie gut vermitteln und dürfen uns wohl heute noch freuen, dass es Nachkommen von Maunz nicht nur in Straßberg gibt. Bestimmt sind wir schon „Katzen – Ur-Ur-Ur-Großeltern“, wenn nicht noch mehr.......
Einmal in jedem Jahr haben wir auch Urlaub und fahren in Richtung Rumänien zu den Großeltern unserer Kinder, damit die auch teilhaben können, wie unsere Kinder sich entwickeln.
Für Maunz ist das natürlich ganz großer Stress. Zwar gibt es die „Tante Ella“ im Pfarrhaus, eine gütige alte Dame, die uns, unsere Kinder und auch die jeweilige Katzenfamilie mit Großmut erträgt, die sich auch bereit erklärt, die Maunz zu versorgen, solange wir nicht im Lande sind, aber jedes Mal so zwei bis drei Tage vor unserer Heimkehr aus dem Urlaub ist die Katze spurlos verschwunden und wird erst nach Tagen oder Wochen wieder gesichtet. Sir nimmt übel, denn sie hat wohl Charakter und begreift nicht, wieso wir sie allein lassen können.

 Jedenfalls ist sie am Ende immer wieder da. hält das Grundstück mäusefrei und erfreut uns mit ihrem Nachwuchs.
Wenn wir am Wochenende unseren Kirchnerdienst versehen, sitzt sie vor der Kirchentür und wartet wie ein treuer Hund darauf, dass es wieder nach Hause geht. In die Kirche kommt sie nicht, sie weiß wohl, dass sie da nichts verloren hat.

Schließlich übersiedelt sie 1994 gemeinsam mit uns nach Klingenthal.
Dort erwartet sie natürlich ein ganz besonderes Paradies: Unsere dortige Wohnung befindet sich unmittelbar in Friedhofsnähe – für Maunz das ideale Revier, vor allem wenn es gilt „Jagd“ auf verwitwete alte Damen zu machen.
Sie lauert hinter so manchem Grabstein und wartet nur darauf, dass jemand kommt, der die Blumen gießen oder die Grabstelle pflegen möchte und sehr zum Schrecken der einen oder anderen alten Dame kommt dann hinter dem Grabstein schon mal ein schwarzes Katzenpfötchen hervor und versetzt die Grabpflegerin in Angst und Schrecken.
Auch in Klingenthal „erfreut“ uns Maunz mit ihrem Nachwuchs und ich denke daran, wie der gute Benjamin in den Taschen seines Bademantels kleine Katzenbabies spazieren trug, sehr zur Freude unserer damaligen Mitbewohner.
Auch die Rückkehr nach Straßberg, drei Jahre später, verkraftet sie gut und lebt sich in der alten Heimat wieder gut ein.
Schön langsam wird sie aber doch alt und gebrechlich. Ihre alten Spielkameraden – unsere Kinder – sind auch schon längst erwachsen und so verlässt sie uns im geschätzten Alter von 18 oder 19 Jahren, wie es so schön heißt: „Alt und lebenssatt“.

Ein kleines Denkmal wollen wir ihr aber doch setzen, hat sie uns doch immer wieder in Atem gehalten und unser Leben mit ihrem Dasein erfreut und bereichert............... 

Freitag, 7. Juni 2013

Hochwasser im Vogtland im Juni 2013





Die Reise nach dem Westen

von Hubert Schierl

Wie ist das eigentlich, wenn Du Dich eingesperrt fühlst – dummes Gefühl, oder ?
Irgendwie ging es mir in meinen früheren Jahren auch so. Ich wollte raus..... Meine Frau durfte das ja als rumänische Staatsangehörige, sie durfte in alle Richtungen reisen, keiner hatte was dagegen. Unsere Jungs durften das auch, denn auch sie waren unter den Schirm des grossen Genossen Nikolaus Ceausescu gekommen und hatten dessen Staatsangehörigkeit. So war ich nun der einzige „Ausländer“ in dieser Familie, die in der DDR lebte, aber doch nicht zugehörig war. Komisches Gefühl, das. Irgendwie lebten wir in einer Nische, die wir eigentlich nicht wollten, die uns aber doch recht gut tat. Denn Freizügigkeit war und ist ein hohes Gut. Und so recht zu schätzen weiß nur der es, der es nicht hat oder erst neu erwerben muss. So habe ich nun bis zum Jahr 1984 meine Familie auf Bahnsteig 4 in Richtung Hof verabschiedet und auf Bahnsteig 3 wieder in Empfang genommen.
Die Jungs erzählten mir, wie sie mit den DDR - Grenzern und - Zöllnern rumgealbert haben, wie sie denen erklärten, dass es beim „Onkel Ernst“ in Helmbrechts „Nutella“ gibt und ihnen zu erklären versuchten, dass sie doch auch mal dorthin fahren sollten. Wie die Genossen von der Grenze damit leben konnten, dass Kinder ihnen die Wahrheit sagten, weiss ich nicht, aber die Jungs sind mit ihrer Mutter immer wieder gut nach Hause gekommen und sie hielten das, was sie erleben durften, für ganz selbstverständlich. Sie haben die Grenze auch von der anderen Seite gesehen und wußten, wohin der Stacheldraht zeigte. So war das halt, wenn man in einer internationalen Familie lebte. Heute hätte man dafür ganz andere Begriffe: Multi-Kulti oder so...... Bis zum Jahr 1984 , wie gesagt. Dann war mir so zumute, als müsse ich auch mal auf dem Bahnsteig 4 in den Interzonenzug einsteigen dürfen und nicht nur hinterher winken müssen.
Also: Ab nach Zwickau zum Anwalt, der sich um solche Wünsche kümmerte. Normalerweise
wollten die Leute „RAUS“. Ich wollte ganz bescheiden nur mal „NACH DEM WESTEN“. Und
dann wiederkommen, zufrieden sein und weiter arbeiten............. „Ja, Herr Schierl, wir wollen lieber drei Parteisekretäre für immer gehen lassen, als einen Pfarrer zu verlieren“ - wurde mir beschieden und nachdem die Sache „durchgestellt“ war, durfte ich mir nach etwa 6 Wochen meinen ersten DDR – Reisepass in Plauen abholen. Stolz ist gar kein Ausdruck – aber solchen empfand ich doch. War ich doch endlich ein wirklich anerkannter Staatsbürger, der auch würdig war, einen Reisepass sein eigen zu nennen. Und der Gipfel: Da meine liebe Frau die etwas andere Bürgerschaft hatte, durften wir sogar mit dem eigenen PKW fahren. Ein Wartburg-Auto. Kombi, Tourist, schneeweiss mit rotem Signalstreifen. Tolles Gefährt und durchaus würdig, nach dem Westen zu fahren.  
Also los. Erste Hürde: Autobahnauffahrt Schleiz – falsche Richtung, wie der grün Uniformierte am Wachhäuschen meinte. Den habe ich gern ignoriert, weil ich denken wollte, er könne mich mal.... Einfahrt in das Grenzgebiet Blintendorf – wieder ein grün Uniformierter. „Bürger, Sie sind hier falsch !“ - „Nein, Herr Wachtmeister, wir sind hier richtig, wir haben gültige Reisedokumente....“ Weiterfahrt in die mittlere Kleinstadt „Grenzkontrollpunkt Hirschberg“. Ein Wahnsinn!!!! Der Genosse an der Einfahrt begrüßt uns mit ausgesuchter Höflichkeit und weist uns eine Fahrspur zu, auf der wir uns der Grenzkontrolle zu präsentieren haben. Der nächste Genosse nimmt seine Mütze ab und schaut erst mal nach, ob unter der Sitzbank, auf der unser damals 3-jähriger Benjamin schläft, vielleicht noch einer ist. War aber keiner da. Reisepässe werden einbehalten und verschwinden in einer ominösen Klappe, von der keiner sieht, wohin sie führt. Gut. Akzeptiert,. Mal sehen, wie das weitergeht. Es kommt der DDR-Zoll: „Bitte öffnen Sie Motorhaube und Kofferklappe – was soll zum Verbleib außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik bestimmt sein?“ Auch der Genosse ist auffallend höflich und zuvorkommend. Benjamin schläft noch immer...Offensichtlich wissen uns die uniformierten Herren nicht wirklich einzuordnen. Junge Eheleute mit Kind und ganz gutem Auto, das so nicht jeder hat..... Gibt zu denken..... Am Ende der Kontrollstrecke bekommen wir unsere Dokumente wieder und dürfen weiterfahren auf die Saalebrücke. Der Puls ist auf 180 ! Dann der weisse Strich – der WESTEN:Rudolfstein, Grenzkontrollpunkt der Bundesrepublik Deutschland. Ein leger angezogener Beamter, ganz anders als der,der uns eben verabschiedet hat, begrüßt uns. Was wollen Sie denn hier ? Wohin wollen Sie denn ? Wollen Sie in die DDR zurückkehren und wenn ja , wann und über welchen Grenzübergang? Ja, da fahren Sie am besten gleich mal da links raus..... Und schon wieder sind unsere „Reisedokumente“ verschwunden. Diesmal hat sie der bayerische Grenzbeamte, der uns durchaus nicht sehr freundlich begrüßt. Puls ist wieder auf 180, aber diesmal anders. Es mögen 10 Minuten sein , dann kommt er wieder, der Bayer. Und siehe, es ist ein Wandel mit ihm geschehen..... Familie Schierl, Sie werden in Helmbrechts erwartet, das Kaffeewasser kocht schon und Sie sind herzlich willkommen. Wissen Sie, wie Sie zu fahren haben??
Nun ist also auch diesen Kameraden klar geworden, dass wir nicht bei der „Firma“ sind, sondern nur ein paar Exoten, die sich den Luxus erlauben, von Deutschland nach Deutschland zu fahren. 10 Tage waren wir dort und ich habe viel gelernt. Z.B. wie man einen westdeutschen Wasserhahn bedient, um sich die Hände zu waschen, z.B. dass die einzeln eingepackten Kartoffeln in Wirklichkeit „KIWI“ heissen und wie Stachelbeeren schmecken, z.B. wie das mit dem Autobahnklo funktioniert, was mir erst ein kleiner Türkenjunge zeigen mußte oder dass man nicht so einfach auf Ostfelgen Westreifen aufziehen kann, wenn man die nötige Ausrüstung dazu nicht hat. Schön war's schon. Und als wir zuletzt über Herleshausen / Eisenach das gelobte DDR-Land wieder erreichten, war es zunächst ein Hustenanfall, der mich daran erinnerte, wieder im Zweitakter- Gebiet angekommen zu sein.
Lustig war das mit der Zollkontrolle: Unser „Persil“-Karton wurde geröntgt, die Broschüren für meine Gehörlosengemeinde wurden einer hochnotpeinlichen Untersuchung unterzogen und am Ende wurde mir beschieden, ich dürfe diese Druckerzeugnisse aus der BRD in die DDR einführen. Offensichtlich hatte der Zöllner ein weites Herz für gehörlose Mitmenschen. Oder er dachte sich, dass ein „bischen Bibel“ ja nichts schaden könne. Aber vielleicht hat ihn der liebe Gott ja auch nur mit Blindheit geschlagen.....?!

Dacia samt Garage






Freitag, 31. Mai 2013

Martinsdorf

Martinsdorf: Evangelische Kirche
und Weißdorn (Blume des Monats Mai)

Aquarell, Mai 2013
von Agathe Wolff 

Keramik im Bäckerladen

von Hubert Schierl



Inzwischen ist es das Jahr 1988. Es ist Sommer und wir haben gerade unsere jährliche Rumänienreise absolviert. Diesmal war es besonders schlimm. Weil es in Rumänien gar keine Lebensmittel mehr gibt und wir nicht einmal das Recht haben, dort Brot zu kaufen, müssen wir alles, aber auch alles, mitnehmen. Außerdem ist Anne kürzlich noch mal schnell in Oberfranken gewesen, um Kaffee und andere gute Dinge einzukaufen, die uns den Urlaub etwas leichter machen sollen, vor allem auch in finanzieller Hinsicht.
An der Grenze hatten sie es besonders auf uns abgesehen. Erst mal 8 Stunden Stau bis wir auch an die Reihe kommen. Und dann steht da ein mehr oder minder betrunkener rumänischer Zöllner, der es richtig auf uns abgesehen hat. Also: Auto auf, Anhänger auf und alles auf so einen seltsamen Steintisch neben der Fahrspur legen. (Die anderen Reisenden freuen sich, weil sie nicht erwischt werden .) Und da kommt natürlich vieles zum Vorschein:
Salami, Butter, Mehl, Zucker, Reis, Haferflocken, Kaffee, Schokolade, Bonbons, jede Menge Klamotten, die Anne aus dem Westen besorgt hat – schon mal vorsorglich für den Winter, damit die Verwandten nicht frieren müssen. Da sind Gummistiefel, Winterschuhe, Parkas, schöne dicke Pullover.... Und obenauf noch zwei „Deutsche Standartspaten“. Das hat bisher immer geholfen am rumänischen Zoll. Wer für die Landwirtschaft was mitbringt, muß ein guter Mensch sein.... 
Diesmal klappt es nicht. Ganz unten im Auto entdeckt der besoffene Zöllner noch ein paar theologische Bücher, eine Serie mit dem Titel „Theologischer Handkommentar zur Bibel“. Das Wort „Bibel“ lößt bei ihm schiere Panik aus. „Biblii, Biblii, Biblii“ schreit er über das Gelände und nun geht es richtig los mit der Kontrolle. Am Ende sollen wir etwa 1.000.- DM (West) bezahlen. Und die Bücher will er natürlich haben. Auf meine Frage, woher ich als DDR-Bürger dieses Geld haben soll, ruft er seinen Vorgesetzten und spricht vom „Desaster“. Als ich dann gar noch verlange, mit meiner Botschaft in Bukarest zu telefonieren, brennen ihm alle Sicherungen durch und er wird unsachlich.
Es bleibt mir nichts anderes übrig: Ich packe alles wieder ein, drehe um und fahre zurück nach Ungarn. „Und wenn wir jetzt ein Jahr lang unser Brot selber backen müssen, wir fahren zurück“!! - ist mein Kommentar angesichts von so viel Mehl. Aber dann siegt die Vernunft: In Martinsdorf warten sie ja auf uns und wir können keinen Kontakt aufnehmen, weil – Handies gibt es ja noch nicht.....
Also zurück in die ungarische Grenzstadt mit dem langen unaussprechlichen Namen „Biharkeresztes“. Dort gibt es einen Kirchturm und wo ein Kirchturm ist, da gibt es auch einen Pfarrer. Der ist zwar von der „anderen Fakultät“ - sprich katholisch, aber das interessiert gar nicht. Hauptsache ein Mensch, dem wir vertrauen können. Der gute Mann ist gerade dabei, an seinen Weinreben zu arbeiten, hat einen Arm in Gips, weil er wohl von der Leiter gefallen ist, aber er spricht ein wenig deutsch und wir können ihn bitten, einen Teil unserer Sachen in Verwahrung zu nehmen, bis wir wiederkommen. So machen wir es dann auch. Die schönen Winterklamotten bleiben zunächst in Ungarn, die Bücher schenke ich ihm, weil er sagt, dass seine Gemeindehelferin das lesen kann und so starten wir zurück in Richtung Grenze.
Es ist eine Art Spießrutenlaufen, vorbei an der langen Schlange der Fahrzeuge, die über die Grenze wollen. Das Hupkonzert ist unerträglich, aber ich bin so wütend, dass es mich nicht stört. Schließlich stehe ich wieder im Kontrollbereich und siehe da: Der besoffene Zöllner hat immer noch Dienst. Also das Ganze nochmal von vorn – alles raus, alles anschauen, wieder den Vorgesetzten rufen und dann die Mitteilung: Jetzt kostet der Spaß zwar auch 1.000.- Mark, aber diesmal in Ostgeld. Wir kratzen zusammen, tauschen auf unsere Zollerklärungen das Geld, das eigentlich für den Urlaub sein sollte und dürfen endlich weiterfahren. Eine schreckliche Erfahrung, aber die Eltern und Geschwister von Anne haben auf uns gewartet.....


Diese Begebenheit ist nun vorbei, wir sind wieder zuhause und auf Anne wartet die nächste Aufgabe:  
Die Andrea, der wir vor etwa einem Jahr zur Ausreise in die Dominikanische Republik verholfen haben, hat zusammen mit ihrem Mann beschlossen, künftig in Deutschland – West zu leben. Und in der Tat ergibt sich in Bayreuth die Möglichkeit, eine Wohnung zu haben, die allerdings erst mal noch wohnlich gemacht werden muß. So bittet sie Anne darum, ob sie nicht dorthin fahren möchte, um die Dinge so vorzubereiten, dass Andrea und Carolin (die kleine Tochter), ohne Probleme da einziehen können. Antonio soll später nachkommen. (Ein Glück, dass Anne den rumänischzen Pass hat !!) Anne, Sebastian und Benjamin reisen also gen Bayreuth und ich bin mit Tobias allein zuhause.
Das alles findet ein paar Tage vor meinem 40. Geburtstag statt, den ich eigentlich ein wenig festlich begehen wollte. Aber die Pflicht hat gerufen und wie sagte der Vikariatsvater Vödisch ? „Der Pfarrer ist immer im Dienst“. So verzichte ich auf die Familie und richte mich auf einen eher einsamen Geburtstag ein.
Tobias schraubt indess an seinen diversen Mopeds herum und ich gehe den alltäglichen Pflichten nach. Es mag ein, zwei Tage vor meinem „Jubiläum“ sein, da muß ich zum Bäcker, Brot holen.
Im Bäckerladen fällt mir ein fremder Mann auf, der ziemlich gestikulierend versucht, Kontakt mit den anwesenden Kundinnen aufzunehmen. Ich sehe Keramikvasen und -teller und Glasgefäße, die mir verdächtig bekannt vorkommen. Und als ich etwas näher hinhöre, höre ich vertraute Laute in rumänischer Sprache. Da hat sich doch in der Tat ein Mensch aus Rumänien nach Straßberg verirrt und versucht, unseren Dorfdamen allerlei Dinge zu verkaufen. Die jedoch reagieren entweder gar nicht oder sehr zurückhaltend. Es kommt ja eher selten vor, dass ein Fremder unser Dorf aufsucht und dann noch ein Ausländer.......?
Ich schaue mir den Spaß eine Weile an und überlege, wie ich eingreifen könnte. Am Ende kratze ich all meinen rumänischen (zum Teil noch recht frischen) Wortschatz zusammen und beschließe, dem Mann zu helfen.Erst mal muß ich den anwesenden Frauen erklären, woher der Fremdling kommt und dann spreche ich ihn persönlich an. Ich stelle mich als Ortspfarrer vor und versuche, ihm klar zu machen, dass er eher wenig Chancen hat, seine Ware los zu werden. Der Mann ist völlig konsterniert. Damit hat er nun gar nicht gerechnet, dass er fern seiner Heimat, in unserem Dorf, in seiner Muttersprache – wenn auch mehr schlecht, als recht – angesprochen wird. Und so gibt er mir letztendlich zu verstehen, dass draußen auf dem Dorfplatz sein Sohn im Auto auf ihn wartet. Der hat sich offensichtlich nicht mit in den Bäckerladen gewagt. Also mache ich mich auf die Suche nach dem Sohn und finde ihn in einem für damalige Verhältnisse ganz tollen Dacia – Auto draussen auf dem Platz. Auch ihn versuche ich in rumänischer Sprache anzureden, worauf er mir auf deutsch antwortet: Ich müsse mir nicht so viel Mühe geben, mit ihm könne ich deutsch reden, er wohne hier. Aber der Vater hätte sich nicht ausreden lassen, das kleine Geschäft zu probieren.
Ende vom Lied: Ich lade die beiden ganz schnell zu mir in das Pfarrhaus ein, vielleicht habe ich einen Kaffee gemacht, ich weiß es nicht mehr – auf jeden Fall erfahre ich, dass der junge Mann am Plauener Theater als Musiker arbeitet, mit seiner Freundin und einem kleinen Sohn in Plauen wohnt und der Vater gerade mal hier zu Besuch ist und sich mit ein paar kleinen Geschäften seinen Unterhalt aufbessern will. Also genau das, was wir in Rumänien mit Handmixern, Küchenuhren, Kaffee und Damenstrumpfhosen auch machen.....
Ein Wort ergibt das andere, wir fassen Vertrauen zueinander und weil ich allein mit Tobias meinen 40. Geburtstag feiern soll , lade ich ihn, seine Frau, seinen Sohn Adrian, die Freundin und den kleinen Antonio kurzerhand zum Geburtstag ein. Und siehe da, am 11. August sind wir bei schönstem Sommerwetter alle im Pfarrgartenversammelt. Ich stelle fest, dass Adrians Freundin Petra in absehbarer Zeit ihr zweites Baby bekommen wird und erfahre, dass der Termin eigentlich schon erreicht ist.Wir grillen das rumänische Nationalgericht „Mici“, das sind so kleine handgedrehte Würstchen aus Fleisch mit gaaaaanz viel Knoblauch. Tobias sorgt mit seinem Moped für die Getränkeversorgung, indem er jede einzelne Getränkeflasche separat herbeiknattert. Der Tag hat sein besonderes Flair, auch wenn Anne nicht dabei sein kann. Ich habe noch keine Ahnung, dass am nächsten Tag mein künftiges Patenkind zur Welt kommen wird.
Einen Tag später kommt Baby Lucaciu Nr. 2 auf die Welt und erhält den Namen Robert. Und so kurz wir uns auch erst kennen, werde ich zum Paten bei der Taufe berufen. Das nehme ich natürlich sehr gern an, denn nun verbindet uns noch viel mehr, als nur eine lose Bekanntschaft. Robert ist inzwischen 25 Jahre alt, ein begnadeter Musikus, selbst schon verheiratet und vielleicht dürfen wir auch noch miterleben, dass der Patensohn selber Kinder hat. Neugierig sind wir schon ... 
Der liebe Gott hat wohl schon damals gewußt, was er tut, indem er uns zusammen geführt hat, denn unsere Freundschaft ist bis auf diesen Tag ungebrochen, so dass wir einander inzwischen als Brüder und Schwestern verstehen können und einer für den anderen gerade steht, wenn es gebraucht wird. Wir durften schon vor der allgemeinen „Wende“ dafür sorgen, dass Grenzen und Mauern beseitigt wurden, indem wir uns einfach vertraut haben. Inzwischen haben wir mancherlei Interessantes und teilweise Kurioses miteinander erlebt, nur zu einem gemeinsamen Rumänienurlaub kam es noch nicht.
Schön, dass es „Keramik im Bäckerladen“ gegeben hat.

Sonntag, 14. April 2013

Die Genossen ...


Erich Honecker und Günter Mittag (Wirtschaftssekretär des ZK der SED) sind mal wieder unterwegs in der DDR.
Unter anderem kommen sie in einen Kindergarten.
Na, Genossin Leiterin, wie geht es denn so ?
Ja, Herr Staatsratsvorsitzender, es geht schon, aber sehen Sie selbst: Die Spelzeugpanzer haben keine Ketten mehr und die Zinnsoldaten haben nur noch ein Bein......
"Ach, Genossin, kein Problem...."  Erich zückt das Regierungsscheckbuch und stellt einen Scheck über 1000.- (tausend) M/DDR aus.
Die beiden führenden Genossen begeben sich anlässlich Ihrer Rundreise auch in eine Justizvollzugsanstalt.
Genosse Direktor, wie geht es denn so ???
Ach, Herr Staatsratsvorsitzender, sehen Sie doch selbst : Keine Gardinen an den Zellenfenstern, kein Farbfernsehen auf dem Haftraum.......
"Nun, Genosse Direktor, das läßt sich doch regeln..." Erich zückt wieder das rote Scheckbuch der Regierung und stellt diesmal einen Scheck über
10.000.- (zehntausend) M/DDR aus.
Als die beiden Genossen wieder in dem großen schwarzen Regierungsauto sitzen, stößt Günter den Erich in die Seite:
Sag' mal Erich, spinnst Du ? Dem Kindergarten gibst Du Tausend, dem Knast Zehntausend ????
"Ach weißt Du, Günter....,  wenn das mal andersrum kommt, meinst Du allen Ernstes, die sperren uns im Kindergarten ein????.............

      
Der war unter Brüdern 5 (fünf) Jahre Knast in Bautzen wert......

Mittwoch, 10. April 2013

Heute mal was zu Groß-Schenk:

Eine Collage über Groß-Schenk in Siebenbürgen mit seiner Wehrkirche.

Groß-Schenk liegt im Herzen Siebenbürgens, am Fusse der Karpaten.
Die Groß-Schenker Wehrkirche gehört auch zu den bedeutensten in Siebenbürgen.


Collage: Wehrkirche Groß-Schenk 
Acryl auf Leinwand 
von Agathe Wolff, Februar 2013


Auf einer  Seite über die bedeutensten Kirchenburgen Siebenbürgens habe ich folgende Beschreibung zur evangelischen Kirche aus Groß-Schenk gefunden:
Der bedeutenden Kirche in Großschenk wurde schon von Anfang an die Rolle einer Schutzwehr des Glaubens verliehen, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn: Der Westturm wurde Anfang des 13. Jahrhundert errichtet und mehrfach erhöht und verstärkt. Im 18. Jh. wurden die Wehranlagen abgetragen und er erhielt seinen heutigen charakteristischen Turmhelm. Ein großer Teil der zwei ringförmigen Mauern, ausgestattet mit Basteien und Wehrtürmen, wurde abgetragen. Jedoch haben sich von den ehemaligen befestigten Gebäuden das sogenannte alte Rathaus und ein Wehrspeicher erhalten. Der Innenraum zeigt heute die Anmutung einer Hallenkirche, nachdem 1693 die Seitenschiffe zum Einbau von Emporen erhöht wurden. Die Innenausstattung der Kirche präsentiert sich in verschiedenen Stilformen: neben dem spätgotischen Gestühl findet sich die Kanzel aus der RenaissanceTaufbecken, Epitaphien und das Gestühl der Zünfte wurden im Barock hinzugefügt, während die klassizistische Orgel die Westempore dominiert.

Samstag, 6. April 2013

Noch ein internationales Brautpaar

Von Hubert Schierl


Das Leben geht schon seltsame Wege.

Da muß ein junger Mann extra aus der Dominikanischen Republik anreisen, um in Reichenbach im Vogtland auf der Textilfachschule eine meiner ehemaligen Konfirmandinnen, Andrea aus Kloschwitz, kennenzulernen. Und natürlich kommt es, wie es kommen muß:

Die beiden finden Gefallen aneinander, der Luis, den wir bis heute „Antonio“ nennen, aus dem fernen Santo Domingo und die Andrea aus dem kleinen Kloschwitz bei Plauen.

Nicht allen Leuten gefällt die Verbindung der beiden jungen Menschen:

Andreas Eltern haben mehr oder minder berechtigte Sorgen, wie das denn enden soll – ihre behütete Tochter und ausgerechnet ein Ausländer und noch dazu einer, dessen Hautfarbe und „Dialekt“ sofort verraten, dass er nicht im Vogtland aufgewachsen ist ! Was wohl die „Leute“ dazu sagen werden ? Die üblichen Vorbehalte, die man so hat, wenn etwas anders läuft, als es „allemeidaach“ (das ist vogtländischer Terminus für „so muß es sein, so machen es alle...“ und wird nur im Vogtland verstanden) üblich war.
Und da ist noch der Staat DDR, der diesen jungen Mann in's Land geholt hat, um „Solidarität“ zu üben. Schließlich will man den jungen aufstrebenden Nationen vor der US-Amerikanischen Haustür zeigen, wessen die kleine DDR fähig ist: „Wir schicken gut ausgebildete Fachleute wieder nach Hause, die dann hoffentlich von den Segnungen des Sozialismus auf deutschem Boden berichten werden und das in einem Gebiet, das so nahe der Höhle des kapitalistischen Löwen ist.....“
Die Probleme sind also programmiert und ich weiss: Diese beiden jungen Leute werden es nicht leicht haben. Schließlich haben meine Frau und ich vor gerade mal 10 Jahren ähnliche Sorgen gehabt – etwas anders gelagert, weil Rumänien und die DDR betreffend und zumindest ohne Unterschied in Hautfarbe und Muttersprache, aber durchaus nachvollziehbar, was den „Konflikt“ mit Staat und Elternhaus betrifft. Also beschließe ich, den beiden Menschen zu helfen ......
Zunächst gilt es, das Gespräch mit den Eltern zu suchen und das ist nicht immer einfach. Es bedarf großer Geduld und guter Argumente. Doch so nach und nach ebnen sich die Wogen und man versucht, mit den Dingen zu leben. Ein erster und entscheidender Erfolg. Wo man redet, haben die Probleme ihren Schrecken verloren.
Schwieriger soll es schon mit den Behörden werden .....
Schließlich kann die DDR kein Interesse an dieser Verbindung haben und erlaubt ist nur, was der Sache wirklich dient.
Erstens soll „Antonio“ nach dem Ende seiner Ausbildung wieder in sein Heimatland zurückkehren. Die Abmachung mit denen, die ihn geschickt haben, ist unbedingt einzuhalten, denn die DDR ist dafür bekannt, dass Verträge befolgt werden. Man kann ihn also nicht einfach hier behalten. Zweitens: Ihn gehen zu lassen und gleichzeitig die Verbindung zu einer DDR-Bürgerin zu sanktionieren, bedeutet, eine sehr gut ausgebildete Fachkraft im eigenen Land zu verlieren.
Man befindet sich in einer Zwickmühle, die am besten dadurch aufzulösen wäre, dass die beiden Liebenden ihre Verbindung beenden.......
Aber die kümmern sich um solche Bedenken der führenden Genossen herzlich wenig – im Gegenteil. Irgendwann ereilt uns die Nachricht, dass ein Baby unterwegs sei und somit die Angelegenheit auf einer völlig neuen Qualitätsstufe stehe.
Nachdem alle Beteiligten dreimal tief durchgeatmet haben, gilt es nun, dafür zu sorgen, dass das kommende Menschlein mit Vater und Mutter behütet aufwachsen darf.
Ich nehme Andrea mit zu meinem Anwalt nach Zwickau der sich mit solchen Fragen gut auskennt und auch mir schon behilflich war, einen DDR-Reisepass zu erhalten.
Wir erhalten die Auskunft, dass die Sache schwierig werden wird, aber nicht völlig aussichtslos sei. Man müsse eben viel viel Geduld haben...........
Nun haben aber kleine Menschenkinder höchstens 9 Monate lang Geduld, dann wollen sie auf diese Welt und so kommt es, wie es muß: Carolin wird geboren – nun auch zur Freude von Andreas Eltern – und irgendwann muß „Antonio“, der ja eigentlich Luis heisst, wieder in seine Heimat abreisen. Jetzt steht den Dreien eine wirklich schwere Zeit bevor, aber wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass eine richtige Familie daraus werden kann, egal, ob hier oder weit weg, jenseits des Atlantik. Es sind wohl viele Besuche beim Anwalt zu absolvieren, genau haben wir das nie gezählt und inzwischen kann Andrea auch allein hinfahren. Immer wieder haben wir das Gefühl, wir sind noch keinen Schritt weiter gekommen. Aber wir geben nicht auf.

Carolin wächst einstweilen behütet auf und ahnt von den Sorgen der großen Leute zum Glück nichts. Als sie dann reden kann, vertraut sie uns ihre „Sorgen“ an: Immer wenn einer sie auf ihre niedlichen Zöpfchen anspricht, oder gar versucht, daran zu ziehen, macht sie unmißverständlich klar: „MEINE MÖPFE“ !
Gott sei Dank, irgendwann kommt aus Zwickau die frohe Kunde: „Es darf geheiratet werden“. Und dann muss alles wieder mal recht schnell gehen. „Antonio“ kommt aus dem fernen Santo Domingo und bringt mancherlei Spezialitäten seiner Heimat mit. Wir lernen unter anderem Kochbananen kennen, die uns schon seltsam schmecken und auch andere exotische Kleinigkeiten. In der Johanniskirche soll die Trauung sein und gleichzeitig Carolin's Taufe. Es ist ein ganz besonderer Gottesdienst und ich bin bestimmt genau so aufgeregt, wie das Brautpaar. Man hat ja nicht alle Tage eine internationale Trauung und noch dazu über diese Entfernung. Die Feier ist im „Cafe Nord“, das es schon lange nicht mehr gibt und wir sind froh und auch ein wenig stolz, dass diese Etappe bewältigt ist.
Alles andere dürfte nun nur noch Formsache sein.
Aber ähnlich wie vor ca. 10 Jahren bei uns, lassen sich die Behörden schon noch ein wenig Zeit für die „Formalitäten“. Diesmal sind es die DDR-Behörden. Letztendlich will Andrea das Land verlassen und das geht nicht unter Beibehaltung der DDR- Staatsbürgerschaft. Warum das so ist, weiss ich heute nicht mehr, vielleicht liegt es an bestimmten diplomatischen Beziehungen zwischen der DDR und der Dominikanischen Republik. Jedenfalls müssen Mutter und Tochter zunächst für staatenlos erklärt werden, bevor sie das Land verlassen dürfen. Und wenn ich recht erinnere, gibt es dafür eine bestimmte Frist und einen vorgeschriebenen Reiseweg. Der soll über die Bundesrepublik Deutschland zunächst nach Frankreich führen. Auf dem Flughafen Paris-Orly soll dann der Abflug nach Venezuela sein, bevor von Caracas aus die letzte Etappe bis Santo Domingo bewältigt werden kann.
Für den kleinen Moritz unvorstellbar kompliziert !
Zumindest auf dem europäischen Kontinent will ich den beiden Übersiedlern noch helfen können. Als erstes geht es darum, ein Visum für die Französische Republik zu besorgen und das innerhalb weniger Stunden. Faxgeräte und Internet gibt es noch nicht, so ist das Telefon meine einzige „Waffe“.
Ich finde die Telefonnummer der französischen Botschaft in Ostberlin und nun beginnt ein wahrer „Telefonmarathon“. (Leider habe ich mir die Telefonrechnung nicht aufgehoben.) Immer wieder versuche ich, den Mitarbeitern der Botschaft die Brisanz unseres Falles zu erklären und immer wieder stosse ich auf wenig Verständnis. Andere Länder haben halt auch ihre Bürokratie. Bis am Ende mir doch versprochen wird, dass das Visum erteilt ist und irgendwie per Express zugestellt werden soll. Die Einzelheiten habe ich nicht mehr gegenwärtig, aber ich bin mir sicher, dass auch in diesem Fall der liebe Gott am diplomatischen Rad gedreht hat, denn es ist schier Unmögliches möglich geworden.
Gleichzeitig telefoniere ich aber auch noch in eine andere Richtung. Ein Kollege aus Plauen hat mir seine private Verbindung zu einer Pfarrerin aus Paris eröffnet, die zum Glück deutsch spricht, und so kann ich diese Dame darum bitten, Carolin und Andrea an der französischen Grenzstation Forbach abzuholen, nach Paris zu begleiten und bis zum Abflug zu betreuen. Wie gut, dass damals nur ganz wenige Leute aus der DDR gleichzeitig nach Frankreich telefonieren wollten. So kommen die Gespräche relativ schnell zustande und müssen nicht, wie in die Bundesrepublik, als „dringend“ und gegen doppelte Gebühr angemeldet werden. Der Abschied auf dem Oberen Bahnhof in Plauen ist bewegend. Die Familie ist vollzählig erschienen, auch wir sind da und nun gilt es, den beiden Reisenden unsere guten Wünsche und Gedanken mitzugeben auf die große Fahrt in eine fremde Zukunft. Es ist ein eigenartiges Gefühl, Menschen so loslassen zu müssen, „nur“ mit dem Vertrauen „der liebe Gott wird’s schon richten“! Wir wissen ja nicht, ob und wann wir uns jemals wiedersehen werden .... . Heute wissen wir, dass der liebe Gott es sehr gut gerichtet hat.
Nach etwa einem Jahr Aufenthalt in Santo Domingo fasst die junge Familie den Entschluss, künftig wieder in Deutschland – diesmal aber auf der anderen Seite – leben zu wollen.
Die Vorzeichen sind günstig, in Bayreuth sind Wohnung und Arbeit vorhanden und wieder machen sie sich auf einen langen Weg in eine ganz neue Zukunft......
Wieder sind es Andrea und Carolin, die allein zunächst den Rückweg in das andere Deutschland antreten. „Antonio“ muss noch seinen Vertrag erfüllen und will nachkommen.
Nun erweist es sich mal wieder als recht segensreich, dass meine liebe Frau ein ständiges Visum zum Besuch der Bundesrepublik besitzt. Es sind gerade Sommerferien und so kann sie sich mit zweien unserer Buben auf den Weg nach Bayreuth machen, um für die „Heimkehrer“ das Nest zu bauen – d.h. Die vorhandene Wohnung auf Vordermann bringen, ein wenig Vorräte besorgen und warten, bis Mutter und Tochter nach dem langen Flug in der neuen Heimat ankommen.
Für die Jungs ist es ein großes Abenteuer, die beiden Frauen, Anne und Andrea, sind glücklich und Carolin versteht die Welt nicht mehr. Muß sie wohl auch nicht.....
Ein gutes Jahr später dürfen wir uns dann alle wieder treffen. Die Mauer ist weg, wir leben alle wieder in einem Land und keiner kann uns mehr trennen. Die „junge Familie“hat noch einmal Zuwachs bekommen – Fabian – und ist gar nicht mehr so jung. Aber vergessen können wir alle eines nicht:
Es sind oft seltsame Wege, die wir gehen müssen. Aber weil es Gottes Wege sind, führen sie halt doch zum Ziel ..... .




Otto

Von Hubert Schierl

Es gibt Geschichten, die kann man nicht erfinden, die muss das Leben selber schreiben.


So wie diese: Himmelfahrtstag 1990. Deutschland ist so halbe halbe wieder vereinigt, keiner weiss so recht, wo es lang geht, alle Möglichkeiten sind offen ..... . Erstmalig fahren die Männer mit ihren Bierkisten und -fässern am Dreiländereck über die Grenze ins Oberfränkische nach Prex, keiner schaut hin, alle Hinderungsgründe sind vergessen, Grenzzaun und Wachturm sind nicht mehr...........

WIR SIND DEUTSCHLAND

Schön ist das und wir freuen uns darüber.

Auch ich bin unterwegs.

Kürzlich sind unsere Eltern aus Siebenbürgen nach Deutschland gekommen. Über 6 Jahre haben wir gekämpft, die beiden Altvorderen hierher zu bekommen.Unser Rechtsanwalt in Zwickau konnte uns auch nicht wirklich helfen.
Eigentlich wollten wir sie ja in die DDR übersiedeln lassen, aber das scheiterte trotz intensiver Bemühungen nicht nur seitens der DDR-Behörden. Die waren ja ganz lieb. Der grosse Genosse Ceausescu sagte „NJET“, als er von Herrn Honecker auf den Fall „Schierl / Löprich „angesprochen wurde. Und das war wirklich so...Am Ende durfte er sich den KARL-MARX-ORDEN abholen, der grosse Genosse. Half ihm aber auch nichts mehr, seine Tage waren gezählt.
Nun ist plötzlich alles ganz anders... . Die Eltern sind jetzt im Westen, wir im Osten.
Wir wollen in Prex (Westen) eine Wohnung für die Eltern meiner Frau herrichten , zumindest will ich dabei helfen, wir geben uns gemeinsam Mühe. Fred, der Vater von Siegfried, sitzt mit im Auto. Wir kommen nach Blosenberg, zum Grenzübergang nach Ullitz.
Die DDR -Grenzer möchten unsere Pässe sehen, Fred hat einen rumänischen Pass und deswegen dauert es etwas länger. Da schaut Fred nach hinten und sieht einen Mann mit Rucksack.
„Den kenn' ich“, sagt Fred und gibt mir zu verstehen, dass der Mann im Hintergrund ein Bekannter von ihm ist, mit dem gemeinsam er in Kronstadt / Brasov / Siebenbürgen seinen Pass abgeholt hat. Otto – wie wir später erfahren – war schon einige Tage unterwegs. Er kam wirklich aus dem Kreis Kronstadt und er hat wirklich seinen Pass gemeinsam mit Alfred abgeholt.
Nun war er unterwegs nach dem Westen, aber ohne Ziel.
Der bayerische Grenzbeamte schickt ihn zurück. Otto hat keinen Grund - und kein Visum!
Otto ist verzweifelt und geht wieder. Der Westen ist ihm versperrt, so scheint es. Und dabei wollte er doch nur mal „Hof sehen“.
Auch ich bin einige Stunden später wieder auf dem Heimweg nach Straßberg. In der Höhe Autobahnbrücke Pirk sehe ich OTTO, ziemlich deprimiert auf dem Rückweg von der Grenze Richtung Plauen laufen. Sein Rucksack scheint mir noch viel schwerer, er kann nicht mehr... . „OTTO“, sage ich, Sie heissen wohl „OTTO.“ .... und Sie kommen wohl aus dem Kreis Kronstadt in Rumänien ... . 
„Woher wissen Sie das?“ ...
Nun, ein Wort gibt das andere. Am Ende sitzt OTTO in meinem Wartburg-Auto, verschwitzt, verhungert und eingeschüchtert, weil er nicht genau weiss, mit wem er es zu tun hat. Ich könnte ja auch einer von der „Firma“ sein. Bin ich aber nicht.


Ich nehme ihn mit nach Straßberg – erst mal „runderneuern“, Badewanne, was essen usw.... Aber der bayrische Grenzer, mit dem ich über OTTO geredet habe, hat mir gesagt: Komm' wieder, solange ich noch im Dienst bin, dann kann der OTTO doch noch nach Hof und – wenn Du es mir versprichst, dass Du ihn nach Nürnberg in das Aufnahmelager bringst, dann darf er auch bleiben. Also muss alles schnell gehen. Meine Jungs machen was zum Essen, OTTO geht unter die Dusche und dann geht es schon wieder ab in Richtung Ullitz, nach dem Westen.
Kaum zwei Stunden sind vergangen. OTTO ist fit und im Westen. Gerade sind wir in Ullitz über den Grenzstreifen gefahren, da soll ich mal anhalten. Er muss mal... . Und dann geschieht das ganz Besondere: OTTO kniet nieder und küßt den westdeutschen Boden. Irgendwie ist er angekommen. 
Soweit ich weiß, lebt OTTO derzeit in Bad Berneck, es ist also eine wahre Geschichte......... 

Freitag, 5. April 2013

Das große Finale

Von Hubert Schierl

Nun sind wir also in der Endrunde unserer Hochzeitsvorbereitungen.


Seit Mittwoch ist reges Leben und Treiben im Haus und Hof der Schwiegereltern. Jeden Tag sind mindestens 10 Frauen da und backen, was das Zeug hält. Tante Anna aus Mediasch ist angereist. Sie ist zuständig für das Kleingebäck und lebt seitdem nur noch von Kaffee und Zigaretten. Tagelang ! Ein Glück, dass wir „Westgäste“ haben und an Kaffee kein Mangel herrscht.

An mindestens 5 verschiedenenen Backöfen, im Dorf verteilt, wird Brot gebacken. Auch bei der Großmutter in ihrem kleinen Häuschen, in dem sie alle ihre 7 Kinder in den schweren Kriegsjahren allein groß gezogen hat. Ihr Mann war ja im Krieg und kam nur ab und an auf Urlaub...... Später hat es ihn nach dem Westen verschlagen. Großmutter blieb allein. Mein   Vater, der gelernte Bäckermeister, macht auch mit und knetet Teig. Überall duftet es nach frischem Brot. Über 50 große Laibe – so habe ich mir später sagen lassen – sind es. Immerhin wollen die zahlreichen Gäste ja schon vor der Hochzeit etwas essen. Brot, Kuchen, Kleingebäck – das ist die Sache für die nimmermüden Frauen. Derweil haben die Männer auch ihre Sorgen: Das Schwein muß geschlachtet werden. Bei der Hitze im August eine echte Herausforderung. Sonst heiratet man ja lieber im Herbst oder Winter, wenn keine Arbeit auf den Feldern ist und die kühlen Temperaturen für Frische sorgen. Uns ist der Termin staatlicherseits vorgegeben und so hat sich alles danach zu richten. Es muß also alles mal wieder schnell und vor allem sauber zugehen. Aber bei dem Schwein allein kann es nicht bleiben. Schließlich wollen die Leute auch Suppe vor dem Braten. Und für die erwarteten 300 Leute (Kinder gar nicht exakt mitgerechnet) braucht es schon eine Menge. Also lassen auch noch 52 unschuldige Hühner ihr kurzes Leben, um in den Kesseln der Gourmetköchinnen zu landen. Nachdem auch diese Tierchen sauber ausgenommen und von ihrem Federkleid befreit sind, werden sie noch an den Beinen „gefesselt“ und in den großen Suppenkessel, der eher einem hier ortsüblichen Waschkessel gleicht, getaucht, um dort Ihr „Fett ab zu kriegen“. Schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren erlebe ich diese Zeremonie und der Geschmack ist bis heute im Gedächtnis..... Hühnersuppe mit selber gemachten Nudeln, die schon eine Woche vorher im Hochzeitshaus produziert und ganz fein mit dem Messer per Hand geschnitten wurden. Aus Agnetheln wird per Moskwitsch noch eine halbe Kuh herangeschafft. 
Alles muß sauber koordiniert werden und das ist die logistische Meisterleistung von Mutter Anna. Niemand könnte das so gut wie sie. Und dabei hat sie es gar nicht mal so leicht, denn jede der anwesenden Damen hat auch ihre eigenen Erfahrungen mitgebracht und manch eine weiß immer alles am allerbesten..... Da braucht es schon Durchsetzungsvermögen! Aber Mutter Anna schafft das souverän – auch wenn sie hinterher wohl mindestens fünf Kilo abgenommen hat.

Derweil fahren Vater Hans und ich zusammen mit Hug im guten alten Mossi (Moskwitsch-Auto) hinunter ins Kokeltal, um den Hochzeitswein zu besorgen. In Arbegen in der Kellerei werden wir fündig. Bestimmt ist es eine „Kokeltaler Mädchentraube“, die wir uns aussuchen – jedenfalls ein „Weinchen“, wie es kein zweites gibt. Gerade gut genug für den festlichen Anlaß!! Also nehmen wir genug davon mit. Wie das arme Auto das geschafft hat, weiß ich nicht mehr. Aber am Ende ist der Wein in seinen Fässern im Kulturhaus in Martinsdorf – dem Festsaal – gut gelagert und der Schuster-Onkel (der Pate von Anne) hat die ehrenvolle Aufgabe, von nun an bei Tag und Nacht Wache zu halten, damit keiner auf dumme Gedanken kommt und der Wein sich „beruhigen“ kann nach den Strapazen des Transports. Wie man mir später sagt, hat er sogar bei den Fässern geschlafen. Über den Brautstrauß habe ich ja anderenorts schon berichtet. Wie gesagt, es war kein leichtes Unterfangen, überhaupt ein halbwegs würdiges Exemplar zu bekommen.


Und nun ist Sonnabend vor der Hochzeit. 
Schon nachts gegen 2 Uhr klingelt der Wecker, wir müssen raus aus den Federn – Leute zur Arbeit rufen. Annes Jugendfreunde sind vollzählig angetreten, einer hat sein Akkordeon mitgebracht und dann geht das los mit Musik und großem Getöse kreuz und quer durch's Dorf. An diesem und jenem Hoftor machen wir halt und dann wird gesungen. „Meister Jakob, schläfst du noch?“ und ähnliche Texte. Während der eine Teil der Truppe singt, machen sich die anderen, meist die Jungs, „nützlich“ und heben schon mal die Tür zum Schweinestall aus, damit die lieben Tierchen auch Freiheit haben, oder treiben die Kuh schon mal vorzeitig auf die Weide. Alles sehr zur „Freude“ der Einwohner, die das Spiel aber schon kennen und deshalb auch recht tolerant sind. Am Ende sind wir hundemüde zurück auf dem Hochzeitshaus und die armen Frauen, die wir in aller Frühe mit einem kräftigen Schnaps geweckt haben, müssen einen ganzen Tag lang noch schwer schuften, damit am Sonntag alles zur Hochzeit parat ist. 
Nun gilt es! Die Hauptarbeit ist nunmehr im Saal. Die Frauen rühren, kochen und brutzeln, die Jugend richtet die Lokalität festlich her. Das Brautpaar wird geschont. Immerhin haben wir noch die „Betstunde“ beim „Herrn Vater“ - so nennen sie den Ortspfarrer in der Tat damals noch, zu absolvieren. Übrigens, war seine liebe Frau die „Frau Mutter“. (Später, als ich selber Dorfpfarrer bin, wünschte ich mir nur ein wenig von diesem Respekt!!) 

Und dann ist Sonntag, der 19. August 1973! Bis gegen 10 Uhr haben sich alle geladenen und sicher auch noch ein paar Zaungäste im Kulturhaus versammelt. Erst einmal gibt es eine kräftige Suppe, denn mach einer ist schon seit den frühen Morgenstunden per Bus unterwegs. Ein eigenes Auto ist eher die Ausnahme. Und bei der Infrastruktur ist die Anreise selbst innerhalb des Kreisgebietes Hermannstadt langwierig. Dann geht es mal kurz in die Quartiere, das „hochzeitlich' Gewand“ anzulegen und schon wenig später kommt man wieder im Saal zusammen zur „großen Verbrüderung“. Ich habe diese Zeremonie schon einmal in Hetzeldorf gesehen: Braut und Bräutigam verabschieden sich formell bei ihrem jeweiligen Familien und bitten in der je anderen Familie um Aufnahme. Professor Chrestel, Annes Lehrer, und mein lieber Freund Hug (der eigentlich Rainer heißt) wachen darüber, dass alles ordnungsgemäß abläuft. Überhaupt werden die beiden Herren für den Rest des Tages „Den Hut auf“-haben und dafür sorgen, dass die ganze Gesellschaft von über 300 Leuten ordnungsgemäß nach „Sitt' und Brauch“ die Hochzeit erlebt. Auch wir, das Brautpaar, haben uns vor der Zeremonie noch einmal kurz zurückziehen können, um uns anzukleiden. Schließlich wollen wir ja im „Brautmoskwitsch“, der kurz vorher noch Wein- und Kuhtransporter war, feierlich vor dem Kulturhaus auffahren. „Noblesse oblige“ - Adel verpflichtet! 
Dann formiert sich die gesamte Gesellschaft zu einem Hochzeitszug. Vorweg ich, der Bräutigam, flankiert von Prof. Chrestel und Hug (vielleicht auch, damit ich nicht mehr weglaufen kann.....?) Hinter uns Anne, die Braut, im wertvollen Spitzenkleid von 1943, geleitet von Suni und Monika, Hug's Frau. Und dann der schier endlose Zug von jungen Paaren in Martinsdorfer Tracht. Das haben wir dem Professor Chrestel zu verdanken, der uns eingeschärft hat, dass es anders nicht geht. Nach „Sitt' und Brauch“ eben! Und dann der Rest – die Eltern, die Onkels und Tanten, die aus- und inländischen Gäste.......Und nicht zu vergessen die vielen Kinder. Etliche Schaulustige stehen am Weg zur Kirche, die wir unter Glockengeläut und Orgelspiel betreten. Den Gottesdienst zu unserer Trauung erleben wir stehend. (Später beneide ich dann die Paare, die ich selber trauen darf: Die können sitzen). Unser Freund Fred predigt über unseren Trautext: „Ihr sollt Euch zuerst um das Reich Gottes kümmern und Ihr werdet erleben, dass viele Dinge sich dann von allein regeln“. So ähnlich steht es jedenfalls in der Bergpredigt des Herrn Jesus bei Matthäus. Und dann passiert etwas, das wir alle, die wir es erlebt haben, wohl nie vergessen werden: Von der Orgelempore ertönen klare volle junge Männerstimmen im Quartett und singen für uns den Psalm 23 : „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“. Der gute Professor Chrestel hat ein paar Burschen vom Dresdener Kreuzchor mitgebracht, die gerade auf Urlaubsfahrt in Siebenbürgen sind und einmal eine originale siebenbürgische Hochzeit miterleben dürfen. Beides, der Predigttext und der Psalm, haben bis auf den heutigen Tag nichts von ihrer Aktualität verloren. Und das sind derweil 40 Jahre. Die Erfahrung, dass es uns an nichts mangelt, machen wir immer wieder. Wir können sogar mit anderen teilen und das ist gut so. Und dass wir uns bei Gott gut aufgehoben wissen, erlebten und erleben wir auch immer wieder. Ja und dann der große Moment: Wir stecken einander die Ringe an, Fred segnet uns und dann darf ich meine junge Frau ganz allein aus der Kirche hinausführen. Nun brauchen wir keinen „Begleitschutz“ mehr. Das ist ein erhebender Moment. 
Kurzer Fotostop unter dem Kirchenportal für die anwesenden in- und ausländischen Gäste und dann geht es im langen Zug quer durch's Dorf bis zu Annes Elternhaus. Ich denke, das ist eindrücklicher, als jede Maidemonstration..... 
Ein paar Kinder verwehren uns noch den Eintritt in den Hof und wollen einige Münzen haben. Das wird großmütig gewährt und dann geht es ans Gratulieren und Schenken. Wir hatten unseren ausländischen Gästen gesagt, sie möchten uns erst in Deutschland beschenken und den Inländern haben wir zu verstehen gegeben, dass uns mit Geld am besten zu helfen sei. Trotzdem türmen sich auf dem Gabentisch die Geschenke. Mutter Anna hat zu tun, die Übersicht zu behalten und unsere Gäste aus den beiden Deutschlands müssen später vor dem Zoll an der Grenze schwitzen, weil sie die guten Gaben transportieren müssen. Später kriegen wir auf Umwegen alles wieder zusammen... . Der Rest des Tages ist Freude, gutes Essen, Tanz und Unterhaltung mit unseren Gästen. Alles, was fleißige Hände vorbereitet haben, ist wohl gelungen und findet guten Absatz.. Die liebe Sonne meint es gut mit uns, der schwarze Anzug wird langsam schwer vom Schweiß und so wird es Mitternacht – das offizielle Ende der Hochzeit. Der „Herr Vater“ nimmt Anne den Schleier ab und übergibt ihn ihrer Mutter. Ich werde des Sträußchens an meinem Anzugrevers beraubt, welches meine Mutter erhält und so soll symbolisiert werden, dass es nun vorbei ist mit dem Brautstand. Der Alltag beginnt. Vorher dürfen wir uns beim „Windeltanz“ noch etwas Kleingeld für den künftigen Nachwuchs verdienen und dann heißt es Abschied nehmen vom Brautstaat. Schnell mal heimgehen, „Zivil“ anziehen und dann kommt etwas, das zumindest ich nur schwer verkrafte: Anne und ich müssen mitten in der Nacht, so gegen 3 Uhr, unsere sämtlich Gäste – soweit noch munter – mit einer letzten Mahlzeit bedienen. Zum Glück haben wir ein paar helfende Hände, aber das ist in der Tat eine schwere Aufgabe.
Über die „Hochzeitsnacht“ sei der gnädige Schleier des Schweigens gelegt. Ich weiß jedenfalls, dass sie arg kurz ausgefallen ist.

Eine Woche haben wir nun noch Zeit, dann muß ich den Heimweg antreten, weil der Dienst beginnt. Pünktlich am 28. August habe ich mich in der Evangelischen Akademie zu Meißen einzufinden zum Einführungslehrgang für den Kirchlichen Vorbereitungsdienst (Vikariat). Diese paar wenigen Tage gilt es nun noch zu nutzen für die „Flitterwochen“. Annes Tante Katharina und ihr Mann Martin wohnen mit ihren zwei Kindern Irmgard und Martin in Victoria-Stadt, direkt im Karpatengebrirge. Diese lieben Menschen stellen uns für drei Tage ihre Wohnung zur Verfügung und so haben wir wenigstens ganz kurz Gelegenheit, unsere Zweisamkeit zu genießen und uns von den Aufregungen der letzten Tage, Wochen und Monate zu erholen. Es sind drei herrliche Tage, unbeschwert, aber doch auf's neue überschattet von der erneut bevorstehenden Trennung, denn obwohl wir nun nach Recht und Gesetz verheiratet sind, darf ich Anne noch lange nicht mitnehmen nach Deutschland. Sie muß erst mal einen Antrag zum Verlassen des Landes und zur Übersiedelung zu ihrem Ehemann stellen. Und niemand weiß, wie lange das nun wieder dauern wird.......


Machen wir es kurz:

Anfang Dezember 1973 bekomme ich dann die Nachricht, dass Anne dann und dann mit dem Flugzeug aus Bukarest kommend in Berlin – Schönefeld eintreffen wird. Vorher hat mein Vikariatsvater Vödisch in Plauen noch ein Einsehen und erlaubt mir eine schnelle Woche Siebenbürgen. Ich danke es ihm heute noch! Ich glaube, es ist ausgerechnet der Nikolaustag, als ich in Plauen den Schnellzug nach Berlin besteige. (Auch der ganz große „Überrumäne“ hieß Nikolaus !) Natürlich hat der Zug Verspätung und ich sehe den Flieger, der meine Frau an Bord hat, schon landen. Mit hängender Zunge haste ich zum Flughafengebäude und dann ist es endlich endlich so weit. Wir sind als Eheleute glücklich vereint. Von unserem ersten Kennenlernen bis zu diesem denkwürdigen Tag sind sage und schreibe zweieinhalb Jahre vergangen! 
Natürlich haben wir noch ein paar kleine bürokratische Aufgaben: Man hat Anne in Rumänien noch gesagt, dass der erste Weg sie zur rumänischen Botschaft zu führen habe, wo sie sich registrieren lassen muß, damit sie nicht in letzter Minute noch die Kurve nach dem Westen nimmt. Auch das wird pünktlich erledigt und wo wir nun einmal in der „Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik“ sind, wollen wir natürlich auch das Kleingeld, das mir die Mutter in Oelsnitz noch zugesteckt hat, ausgeben und für Anne gleich ein paar nette zeitgemäße Klamotten kaufen, die es so in der Provinz nicht gibt. Müde aber glücklich kehren wir nach Plauen zurück und beziehen unser „Ein-Raum-Appartement“ bei der Pfarrerwitwe Brunner, die mit ihren zwei Kindern in der Uhlandstraße wohnt. Küche und Bad nutzen wir gemeinsam, das ehemalige Arbeitszimmer ihres Mannes ist unser Zuhause. Unsere Bettsachen verstauen wir eine halbe Treppe tiefer in einer Truhe in einer Toilette, schlafen dürfen wir auf einer blauen ausziehbaren Couch, unser Monatseinkommen beträgt 330.- M/DDR und so starten wir in unser gemeinsames Leben.........

Aber: Wir haben es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft !!!!! 

Endlich am Ziel

Von Hubert Schierl

„Studium ex – Amen“ !- so lautet das Telegramm, das ich meinen Eltern Mitte Juli 1973 nach Oelsnitz schicke. 14 Semester – 7 lange Jahre – Theologiestudium habe ich hinter mir. Was ist in dieser Zeit alles geschehen: Der Abriss der Uni-Kirche in Leipzig, das Jahr 1968 mit seinen studentischen Unruhen im Westen Deutschlands und dem Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten in der CSSR,die erste Mondlandung der Amerikaner, der Kniefall von Willy Brandt in Warschau, meine Zeit als Pfleger im Krankenhaus, die Reisen nach Rumänien, das Eisenbahnunglück bei Schweinsburg-Culten, wo ich im dritten Waggon saß – um nur ein paar markante Punkte aufzuzählen.
Obwohl ich wegen meiner politischen Einstellung nicht zum Abitur zugelassen war, keine „Erweiterte Oberschule“ besuchen durfte, habe ich es geschafft. Die alten Sprachen, Latein, Griechisch, Hebräisch sind bewältigt – mehr oder weniger gut. Ich denke an das Hebraicum, das ich mit viel Geschick und dem Fundus von immerhin 3 – 4 Vokabeln mit Note 1 b geschafft habe. Das war unter anderem dem guten Pfarrer Steyer zu verdanken, dem Sprachgenie am Theologischen Seminar. Der saß bei der mündlichen Prüfung hinten in der Prüfungskommission und hat heimlich geflüstert.... Er hat wohl gewußt, wie beliebt Hebräisch bei den Studenten war. Er selber war „Grieche“.
Den schriftlichen Text hatte uns unfreiwillig der Dr. Hermann, unser Alttestamentler, verraten, indem er uns ein Schlüsselwort gegeben hatte. Die restlichen Prüfungen im Alten und Neuen Testament, in der Predigtlehre, der Dogmatik, Missionsgeschichte und wie die Fächer sich alle nannten, sind vorüber. Nun spielt die Prüfungsangst keine Rolle mehr !

„Studium ex – Amen“.

Vorbei die Anspannung vor den Examina, der schwarze Anzug darf im Schrank in der Studentenbude Platz nehmen.

Mutter kommt nach Leipzig, läßt sich von mir mal ganz vornehm ausführen und bezahlt die Schmiere auch noch... . Das tut gut !

Es ist ein Stück neues Leben – wenn da nicht noch das Problem mit der Heiratsgenehmigung wäre ... . Ich löse meine „Bude“ in Leipzig auf, indem ich mir „Postmietbehälter“ - das sind große stabile Kartons – bei der Post (wie der Name schon sagt) ausleihe, mein Hab und Gut darin verstaue, die Bücher, die Schallplatten, alles eben, was nicht in den Koffer geht, und dann nix wie fort nach Martinsdorf zu Anne!

Immerhin sind dies die letzten unbeschwerten großen Ferien. So schön wird es nie wieder! Soviel weiß ich. Im Herbst soll ja das Vikariat in Plauen beginnen und dann wird es ernst....

Also: Nochmal durchatmen und den Tag genießen. Wir beide, Anne und ich sind froh, dass wir wieder beieinander sind und freuen uns unseres Lebens. Die nicht vorhandene Heiratsgenehmigung haben wir schon fast vergessen. Wir fahren mit dem Bus zu Suni und Helmut, die mit der kleinen Agathe in Großschenk wohnen. Die haben da ein schönes Haus, Helmut hat es als Maurer gut auf „Vordermann“ gebracht und so läßt es sich leben ... .

Bis eines schönen Morgens Suni ganz aufgeregt in unser Schlafzimmer stürmt:

„Ihr dürft heiraten, die Genehmigung ist da!“

Die Eltern aus Martinsdorf haben über die Postzentrale nach Großschenk angerufen und die Mitteilung gemacht. Nun aber ganz schnell ! Tasche packen und ab nach Martinsdorf. Herzklopfenderweise kommen wir dort an und halten ein offizielles Schriftstück in der Hand: Innerhalb der nächsten 3 Wochen haben wir vor einem rumänischen Standesamt die Ehe zu schließen, andernfalls erlischt die Genehmigung.

Bis dahin gibt es aber nun noch eine Menge zu tun. Ein Termin für das Standesamt muß gefunden werden. Wir beschließen, die standesamtliche Trauung auf dem Dorfrathaus von Mihaileni zu beantragen. Anne hat da einen entfernten Verwandten, der ist Vizebürgermeister, spricht deutsch und hat das Recht, uns zu verheiraten. Den Termin legen wir fest auf den 09. August 1973 im Gemeindeamt Mihaileni, ungefähr 5 Kilometer von Martinsdorf entfernt.

Aber noch viel wichtiger ist, einen Termin für die kirchliche Trauung zu finden. Es sollen ja auch von meiner Seite Leute eingeladen werden, die mir bei dem wichtigen Schritt in's Eheleben beistehen. Die Eltern sollen kommen, Freunde aus Oelsnitz und Umgebung, Studienkollegen aus Leipzig, die Tante aus der Altmark, Verwandte aus Oberfranken und Jan aus Tschechien. Insgesamt sind es wohl ein paar zwanzig Menschen, die wir einladen wollen. Ganz wichtig ist auch das Hochzeitskleid für Anne und der Anzug für mich. Tracht geht nicht, da ich kein Siebenbürger bin, also bleibt nur „bürgerlich“. Aber wir haben buchstäblich nichts. Die Eltern müssen alles mitbringen. Manches kann dann doch noch vor Ort ergänzt werden, aber es wird schon eine Improvisation ... . Telegramme gehen hin und her, von Martinsdorf nach Oelsnitz und zurück, Listen werden geschrieben, Besorgungen müssen erledigt werden und das alles ohne Auto .... . Mit dem Ortspfarrer vereinbaren wir Sonntag, den 19. August 1973 für die kirchliche Trauung. Annes Eltern fahren am Limit, denn es sind insgesamt etwa 300 Personen zur Hochzeit einzuladen und das bedeutet, alle Lasten der Beköstigung, Unterbringung und Betreuung der Gäste ruhen auf ihnen. Die Leute aus Deutschland können mangels Erfahrung herzlich wenig beitragen. Ein Wunder wird sein, wenn alle überhaupt pünktlich anwesend sein werden. Immerhin dauert die Bearbeitungsfrist für eine Reisegenehmigung in der DDR mindestens 14 Tage. Später erfahren wir dann, dass es auf dem Polizeiamt in Oelsnitz eine offizielle Dienstanweisung gegeben hat. „Wer zu der Hochzeit von dem Schierl nach Rumänien will, bekommt seine Reisebewilligung innerhalb von 24 Stunden!“ Ein Glück aber auch ! 

Und dann kommt der 9. August - der Tag der standesamtlichen Trauung. 

Heinrich Schobel, der Kutscher auf der Staatsfarm, hat die Pferdchen eingespannt, die Kutsche geputzt und fährt vor dem Elternhaus von Anne vor, um uns nach Mihaileni zu kutschieren. Zum Glück hatte ich mir wenigstens einen leichten Sommeranzug eingepackt und Anne hat einen schicken Hosenanzug, so sind wir halbwegs „in Form“ für diesen wichtigen Akt, der uns so viel Zeit und Kraft gekostet hat. Der Nachbar, Klaus Thalgott, der „Herr Ingenieur“, wie Annes Mutter ihn nennt, hat seine russische „Isch“ - das ist so ein uriges, tuckerndes, „handgeschmiedetes“, wohl mit Hammer und Sichel gebautes Motorrad mit Beiwagen – flott gemacht, besteigt dieses und läßt den Vater Hans mitsamt einem 5-Liter-Krug voll Wein im Beiwagen Platz nehmen. Die beiden sollen unsere Trauzeugen sein und mit dem Wein soll später die Anspannung „gelöscht“ werden. Ab geht die Post in Richtung Standesamt. Uns beiden „Deliquenten“ fällt nichts besseres ein, als auf unserer Kutsche das schöne Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ anzustimmen. War es jugendlicher Leichtsinn, war es die Freude, es endlich geschafft zu haben oder haben wir vielleicht gar nicht kapiert, was wir da zu tun im Begriff waren ??? Herr Wagner, der Standesbeamte, empfängt uns im Rathaus zu Mihaileni. Auch er hat sich festlich gekleidet, er trägt zu seinem Holzfällerhemd die blau-gelb-rote Schärpe in den rumänischen Nationalfarben. Seine Rede fällt zum Glück kurz und schmerzlos aus. Er muß uns freilich von der „kleinsten Keimzelle der sozialistischen Gesellschaft“, der Familie etwas erzählen, aber wir alle haben das Gefühl: Nun reicht es, laßt uns die Sache mit den Unterschriften beenden, damit wir zum Kernpunkt kommen, und das ist nun mal der Krug mit dem Wein, der seitlich vom Schreibtisch steht. Wir stoßen miteinander an, alle wünschen uns Glück und der Herr Wagner zieht mit dem Rest vom Wein fröhlich seiner Wege. 
Die Rückfahrt ist genau so fröhlich, wie die Anreise und nu sind wir ganz hochoffiziell ein Ehepaar. Freilich hat Anne noch mit ihrem Mädchennamen unterschreiben müssen, aber das ist nun Vergangenheit, es beginnt etwas völlig Neues .... wir sind vor dem Gesetz verheiratet, allen Widrigkeiten zum Trotz! 
Für großartige Feierlichkeiten ist nun keine Zeit mehr. Es bleiben uns noch genau 10 Tage bis zur „eigentlichen Hochzeit“. Diese Tage näher zu beschreiben übersteigt im Nachhinein das Vermögen des Chronisten. Es sind so unendlich viele Details zu bedenken und zu bewerkstelligen. Schließlich soll alles gut sein, man möchte sich auch sehen lassen können mit dem, was man da auf die Beine stellt. So bleibt uns, Anne und mir, die Aufgabe, uns um die Dinge am Rande zu kümmern. 
Inzwischen ist Hug mit seiner Frau Monika eingetroffen, mein lieber Kommilitone aus Leipzig und nun haben wir auch ein Auto zur Verfügung. Es ist ein alter „Moskwitsch 408“, aber er fährt und wir sind etwas beweglicher. Benzin gibt es zu der Zeit noch und so können Besorgungen nunmehr per Auto gemacht werden. 
Jeden Tag kommen neue Gäste. Die Eltern reisen an und bringen Brautkleid und Anzug mit. An alles haben sie gedacht. Mutter hat ihr eigenes Hochzeitskleidaus Plauener Spitze ausgegraben, das sie 30 Jahre vorher selber getragen hat, mein schwarzer Anzug ist auch da, selbst an die „Fliege“ haben sie gedacht, aber was wir nicht haben, ist ein Schleier und ein Unterkleid für die Plauener Spitze ... . Da kommt uns sehr entgegen, dass Reisen schlau macht. Gertrud muß helfen! Gertrud ist die Tochter des Pfarrers von Pretai, die vor wenigen Wochen selber geheiratet hat. Ich habe sie bei der Anreise im Zug kennengelernt und irgendwie hatte sie mir erzählt, dass sie genau die Utensilien daheim hat, die uns nun schmerzlich fehlen. Also auf nach Pretai, Unterkleid und Schleier holen. Von Gertruds Vater, Pfarrer Müller, werden wir freundlichst empfangen und er bietet mir sogar an, mich für eine Pfarrstelle in Oesterreich vorzuschlagen. Der Gute ....... 
Aber das Beste am Pfarrhaus von Pretai ist das sogenannte „Mehrschissige Klosett“ - das hatte ich bisher noch nicht gesehen: Ein Stilles Örtchen mit zwei Öffnungen nebeneinander, so dass man sich beim „Geschäft“ auch noch über's „Geschäft“ unterhalten kann. Auf das Probesitzen habe ich bis heute verzichtet. 
Ganz wichtig ist auch die Frage des Hochzeitsstraußes. Anne wünscht sich Nelken. Also fahren wir nach Hermannstadt zum Blumenladen. Immerhin sind es gute 60 km teilweise abenteuerliche Straße, aber der „Moskwitsch“ macht das schon. Wir fahren einmal, wir fahren zweimal und auch dreimal. Am Ende werden wir doch fündig. Es ist zwar nicht das Gebinde, das wir gern wollten, eher etwas rustikal, aber wir haben einen Strauß. Nun muß der nur noch halten bis zum großen Tag ... . 
Wie gesagt, kommen jeden Tag neue Gäste aus den beiden Deutschlands an. Die Westler kommen mit dem „Wiener Walzer“, dem Schnellzug aus der gleichnamigen Donaumetropole und müssen in Hermannstadt abgeholt werden. Die „Ostler“ kommen mit dem „Baldrian“-Express direkt aus Leipzig bzw. Berlin oder Dresden und steigen in Mediasch aus. Die jungen Leute sind fündig und suchen sich die Busverbindung nach Martinsdorf alleine, Tante Lori und Frau Wetzel wollen wir jedoch abholen. 
Der „Herr Ingenieur“ spannt noch einmal seine Russen-Isch ein und wir fahren dem Zug entgegen bis nach Blasendorf. Dort wollen der Vater Hans und ich einsteigen, die beiden Frauen suchen und in Mediasch aus dem Zug geleiten. Klaus soll dort schon mit dem Motorrad warten und das Gepäck aufnehmen, wir sollen dann mit dem Bus nachkommen. So weit der Gedanke, und der ist auch ganz gut, nur haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die beiden erwarteten Frauen sind nicht an Bord des Zuges. Dafür kommen sie einen Tag später auf abenteuerliche Weise in Martinsdorf per Bus an. Auch sie haben es geschafft! 
Genau wie Peter mit seiner Frau Marlene, die zusammen mit Marlenes Bruder nebst Frau mit zwei Trabis anreisen sollen. Irgendwo in den Westkarpaten haben sie sich derart „verfranst“, dass sie meinen, irgendwo in der Taiga zu sein. In einer Zeit ohne Navigationshilfe, mit ganz viel Sprachproblemen und mangelhaftem Landkartenmaterial eine logistische Meisterleistung. 
Kleine Dinge am Rande, die eine solche Feier erst interessant machen ... . 
Uns jedenfalls wird nicht langweilig. Zum Glück spielt das Wetter mit und unsere lieben Gäste können sich – soweit sie nicht zu Handlangerarbeiten herangezogen werden – selber beschäftigen. Die Tage vergehen und schließlich kommen die Vorbereitungen in die „Zielgerade“.

Aber das ist nun wieder eine Geschichte für sich .....................























Ein kleiner Vorgeschmack auf die nächste Geschichte. 
Ich zumindest freue mich schon sehr darauf!