Herzlich Willkommen!
Mein Onkel und ich wünschen Euch viel Spaß beim Lesen und Staunen!

Sonntag, 14. April 2013

Die Genossen ...


Erich Honecker und Günter Mittag (Wirtschaftssekretär des ZK der SED) sind mal wieder unterwegs in der DDR.
Unter anderem kommen sie in einen Kindergarten.
Na, Genossin Leiterin, wie geht es denn so ?
Ja, Herr Staatsratsvorsitzender, es geht schon, aber sehen Sie selbst: Die Spelzeugpanzer haben keine Ketten mehr und die Zinnsoldaten haben nur noch ein Bein......
"Ach, Genossin, kein Problem...."  Erich zückt das Regierungsscheckbuch und stellt einen Scheck über 1000.- (tausend) M/DDR aus.
Die beiden führenden Genossen begeben sich anlässlich Ihrer Rundreise auch in eine Justizvollzugsanstalt.
Genosse Direktor, wie geht es denn so ???
Ach, Herr Staatsratsvorsitzender, sehen Sie doch selbst : Keine Gardinen an den Zellenfenstern, kein Farbfernsehen auf dem Haftraum.......
"Nun, Genosse Direktor, das läßt sich doch regeln..." Erich zückt wieder das rote Scheckbuch der Regierung und stellt diesmal einen Scheck über
10.000.- (zehntausend) M/DDR aus.
Als die beiden Genossen wieder in dem großen schwarzen Regierungsauto sitzen, stößt Günter den Erich in die Seite:
Sag' mal Erich, spinnst Du ? Dem Kindergarten gibst Du Tausend, dem Knast Zehntausend ????
"Ach weißt Du, Günter....,  wenn das mal andersrum kommt, meinst Du allen Ernstes, die sperren uns im Kindergarten ein????.............

      
Der war unter Brüdern 5 (fünf) Jahre Knast in Bautzen wert......

Mittwoch, 10. April 2013

Heute mal was zu Groß-Schenk:

Eine Collage über Groß-Schenk in Siebenbürgen mit seiner Wehrkirche.

Groß-Schenk liegt im Herzen Siebenbürgens, am Fusse der Karpaten.
Die Groß-Schenker Wehrkirche gehört auch zu den bedeutensten in Siebenbürgen.


Collage: Wehrkirche Groß-Schenk 
Acryl auf Leinwand 
von Agathe Wolff, Februar 2013


Auf einer  Seite über die bedeutensten Kirchenburgen Siebenbürgens habe ich folgende Beschreibung zur evangelischen Kirche aus Groß-Schenk gefunden:
Der bedeutenden Kirche in Großschenk wurde schon von Anfang an die Rolle einer Schutzwehr des Glaubens verliehen, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn: Der Westturm wurde Anfang des 13. Jahrhundert errichtet und mehrfach erhöht und verstärkt. Im 18. Jh. wurden die Wehranlagen abgetragen und er erhielt seinen heutigen charakteristischen Turmhelm. Ein großer Teil der zwei ringförmigen Mauern, ausgestattet mit Basteien und Wehrtürmen, wurde abgetragen. Jedoch haben sich von den ehemaligen befestigten Gebäuden das sogenannte alte Rathaus und ein Wehrspeicher erhalten. Der Innenraum zeigt heute die Anmutung einer Hallenkirche, nachdem 1693 die Seitenschiffe zum Einbau von Emporen erhöht wurden. Die Innenausstattung der Kirche präsentiert sich in verschiedenen Stilformen: neben dem spätgotischen Gestühl findet sich die Kanzel aus der RenaissanceTaufbecken, Epitaphien und das Gestühl der Zünfte wurden im Barock hinzugefügt, während die klassizistische Orgel die Westempore dominiert.

Samstag, 6. April 2013

Noch ein internationales Brautpaar

Von Hubert Schierl


Das Leben geht schon seltsame Wege.

Da muß ein junger Mann extra aus der Dominikanischen Republik anreisen, um in Reichenbach im Vogtland auf der Textilfachschule eine meiner ehemaligen Konfirmandinnen, Andrea aus Kloschwitz, kennenzulernen. Und natürlich kommt es, wie es kommen muß:

Die beiden finden Gefallen aneinander, der Luis, den wir bis heute „Antonio“ nennen, aus dem fernen Santo Domingo und die Andrea aus dem kleinen Kloschwitz bei Plauen.

Nicht allen Leuten gefällt die Verbindung der beiden jungen Menschen:

Andreas Eltern haben mehr oder minder berechtigte Sorgen, wie das denn enden soll – ihre behütete Tochter und ausgerechnet ein Ausländer und noch dazu einer, dessen Hautfarbe und „Dialekt“ sofort verraten, dass er nicht im Vogtland aufgewachsen ist ! Was wohl die „Leute“ dazu sagen werden ? Die üblichen Vorbehalte, die man so hat, wenn etwas anders läuft, als es „allemeidaach“ (das ist vogtländischer Terminus für „so muß es sein, so machen es alle...“ und wird nur im Vogtland verstanden) üblich war.
Und da ist noch der Staat DDR, der diesen jungen Mann in's Land geholt hat, um „Solidarität“ zu üben. Schließlich will man den jungen aufstrebenden Nationen vor der US-Amerikanischen Haustür zeigen, wessen die kleine DDR fähig ist: „Wir schicken gut ausgebildete Fachleute wieder nach Hause, die dann hoffentlich von den Segnungen des Sozialismus auf deutschem Boden berichten werden und das in einem Gebiet, das so nahe der Höhle des kapitalistischen Löwen ist.....“
Die Probleme sind also programmiert und ich weiss: Diese beiden jungen Leute werden es nicht leicht haben. Schließlich haben meine Frau und ich vor gerade mal 10 Jahren ähnliche Sorgen gehabt – etwas anders gelagert, weil Rumänien und die DDR betreffend und zumindest ohne Unterschied in Hautfarbe und Muttersprache, aber durchaus nachvollziehbar, was den „Konflikt“ mit Staat und Elternhaus betrifft. Also beschließe ich, den beiden Menschen zu helfen ......
Zunächst gilt es, das Gespräch mit den Eltern zu suchen und das ist nicht immer einfach. Es bedarf großer Geduld und guter Argumente. Doch so nach und nach ebnen sich die Wogen und man versucht, mit den Dingen zu leben. Ein erster und entscheidender Erfolg. Wo man redet, haben die Probleme ihren Schrecken verloren.
Schwieriger soll es schon mit den Behörden werden .....
Schließlich kann die DDR kein Interesse an dieser Verbindung haben und erlaubt ist nur, was der Sache wirklich dient.
Erstens soll „Antonio“ nach dem Ende seiner Ausbildung wieder in sein Heimatland zurückkehren. Die Abmachung mit denen, die ihn geschickt haben, ist unbedingt einzuhalten, denn die DDR ist dafür bekannt, dass Verträge befolgt werden. Man kann ihn also nicht einfach hier behalten. Zweitens: Ihn gehen zu lassen und gleichzeitig die Verbindung zu einer DDR-Bürgerin zu sanktionieren, bedeutet, eine sehr gut ausgebildete Fachkraft im eigenen Land zu verlieren.
Man befindet sich in einer Zwickmühle, die am besten dadurch aufzulösen wäre, dass die beiden Liebenden ihre Verbindung beenden.......
Aber die kümmern sich um solche Bedenken der führenden Genossen herzlich wenig – im Gegenteil. Irgendwann ereilt uns die Nachricht, dass ein Baby unterwegs sei und somit die Angelegenheit auf einer völlig neuen Qualitätsstufe stehe.
Nachdem alle Beteiligten dreimal tief durchgeatmet haben, gilt es nun, dafür zu sorgen, dass das kommende Menschlein mit Vater und Mutter behütet aufwachsen darf.
Ich nehme Andrea mit zu meinem Anwalt nach Zwickau der sich mit solchen Fragen gut auskennt und auch mir schon behilflich war, einen DDR-Reisepass zu erhalten.
Wir erhalten die Auskunft, dass die Sache schwierig werden wird, aber nicht völlig aussichtslos sei. Man müsse eben viel viel Geduld haben...........
Nun haben aber kleine Menschenkinder höchstens 9 Monate lang Geduld, dann wollen sie auf diese Welt und so kommt es, wie es muß: Carolin wird geboren – nun auch zur Freude von Andreas Eltern – und irgendwann muß „Antonio“, der ja eigentlich Luis heisst, wieder in seine Heimat abreisen. Jetzt steht den Dreien eine wirklich schwere Zeit bevor, aber wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass eine richtige Familie daraus werden kann, egal, ob hier oder weit weg, jenseits des Atlantik. Es sind wohl viele Besuche beim Anwalt zu absolvieren, genau haben wir das nie gezählt und inzwischen kann Andrea auch allein hinfahren. Immer wieder haben wir das Gefühl, wir sind noch keinen Schritt weiter gekommen. Aber wir geben nicht auf.

Carolin wächst einstweilen behütet auf und ahnt von den Sorgen der großen Leute zum Glück nichts. Als sie dann reden kann, vertraut sie uns ihre „Sorgen“ an: Immer wenn einer sie auf ihre niedlichen Zöpfchen anspricht, oder gar versucht, daran zu ziehen, macht sie unmißverständlich klar: „MEINE MÖPFE“ !
Gott sei Dank, irgendwann kommt aus Zwickau die frohe Kunde: „Es darf geheiratet werden“. Und dann muss alles wieder mal recht schnell gehen. „Antonio“ kommt aus dem fernen Santo Domingo und bringt mancherlei Spezialitäten seiner Heimat mit. Wir lernen unter anderem Kochbananen kennen, die uns schon seltsam schmecken und auch andere exotische Kleinigkeiten. In der Johanniskirche soll die Trauung sein und gleichzeitig Carolin's Taufe. Es ist ein ganz besonderer Gottesdienst und ich bin bestimmt genau so aufgeregt, wie das Brautpaar. Man hat ja nicht alle Tage eine internationale Trauung und noch dazu über diese Entfernung. Die Feier ist im „Cafe Nord“, das es schon lange nicht mehr gibt und wir sind froh und auch ein wenig stolz, dass diese Etappe bewältigt ist.
Alles andere dürfte nun nur noch Formsache sein.
Aber ähnlich wie vor ca. 10 Jahren bei uns, lassen sich die Behörden schon noch ein wenig Zeit für die „Formalitäten“. Diesmal sind es die DDR-Behörden. Letztendlich will Andrea das Land verlassen und das geht nicht unter Beibehaltung der DDR- Staatsbürgerschaft. Warum das so ist, weiss ich heute nicht mehr, vielleicht liegt es an bestimmten diplomatischen Beziehungen zwischen der DDR und der Dominikanischen Republik. Jedenfalls müssen Mutter und Tochter zunächst für staatenlos erklärt werden, bevor sie das Land verlassen dürfen. Und wenn ich recht erinnere, gibt es dafür eine bestimmte Frist und einen vorgeschriebenen Reiseweg. Der soll über die Bundesrepublik Deutschland zunächst nach Frankreich führen. Auf dem Flughafen Paris-Orly soll dann der Abflug nach Venezuela sein, bevor von Caracas aus die letzte Etappe bis Santo Domingo bewältigt werden kann.
Für den kleinen Moritz unvorstellbar kompliziert !
Zumindest auf dem europäischen Kontinent will ich den beiden Übersiedlern noch helfen können. Als erstes geht es darum, ein Visum für die Französische Republik zu besorgen und das innerhalb weniger Stunden. Faxgeräte und Internet gibt es noch nicht, so ist das Telefon meine einzige „Waffe“.
Ich finde die Telefonnummer der französischen Botschaft in Ostberlin und nun beginnt ein wahrer „Telefonmarathon“. (Leider habe ich mir die Telefonrechnung nicht aufgehoben.) Immer wieder versuche ich, den Mitarbeitern der Botschaft die Brisanz unseres Falles zu erklären und immer wieder stosse ich auf wenig Verständnis. Andere Länder haben halt auch ihre Bürokratie. Bis am Ende mir doch versprochen wird, dass das Visum erteilt ist und irgendwie per Express zugestellt werden soll. Die Einzelheiten habe ich nicht mehr gegenwärtig, aber ich bin mir sicher, dass auch in diesem Fall der liebe Gott am diplomatischen Rad gedreht hat, denn es ist schier Unmögliches möglich geworden.
Gleichzeitig telefoniere ich aber auch noch in eine andere Richtung. Ein Kollege aus Plauen hat mir seine private Verbindung zu einer Pfarrerin aus Paris eröffnet, die zum Glück deutsch spricht, und so kann ich diese Dame darum bitten, Carolin und Andrea an der französischen Grenzstation Forbach abzuholen, nach Paris zu begleiten und bis zum Abflug zu betreuen. Wie gut, dass damals nur ganz wenige Leute aus der DDR gleichzeitig nach Frankreich telefonieren wollten. So kommen die Gespräche relativ schnell zustande und müssen nicht, wie in die Bundesrepublik, als „dringend“ und gegen doppelte Gebühr angemeldet werden. Der Abschied auf dem Oberen Bahnhof in Plauen ist bewegend. Die Familie ist vollzählig erschienen, auch wir sind da und nun gilt es, den beiden Reisenden unsere guten Wünsche und Gedanken mitzugeben auf die große Fahrt in eine fremde Zukunft. Es ist ein eigenartiges Gefühl, Menschen so loslassen zu müssen, „nur“ mit dem Vertrauen „der liebe Gott wird’s schon richten“! Wir wissen ja nicht, ob und wann wir uns jemals wiedersehen werden .... . Heute wissen wir, dass der liebe Gott es sehr gut gerichtet hat.
Nach etwa einem Jahr Aufenthalt in Santo Domingo fasst die junge Familie den Entschluss, künftig wieder in Deutschland – diesmal aber auf der anderen Seite – leben zu wollen.
Die Vorzeichen sind günstig, in Bayreuth sind Wohnung und Arbeit vorhanden und wieder machen sie sich auf einen langen Weg in eine ganz neue Zukunft......
Wieder sind es Andrea und Carolin, die allein zunächst den Rückweg in das andere Deutschland antreten. „Antonio“ muss noch seinen Vertrag erfüllen und will nachkommen.
Nun erweist es sich mal wieder als recht segensreich, dass meine liebe Frau ein ständiges Visum zum Besuch der Bundesrepublik besitzt. Es sind gerade Sommerferien und so kann sie sich mit zweien unserer Buben auf den Weg nach Bayreuth machen, um für die „Heimkehrer“ das Nest zu bauen – d.h. Die vorhandene Wohnung auf Vordermann bringen, ein wenig Vorräte besorgen und warten, bis Mutter und Tochter nach dem langen Flug in der neuen Heimat ankommen.
Für die Jungs ist es ein großes Abenteuer, die beiden Frauen, Anne und Andrea, sind glücklich und Carolin versteht die Welt nicht mehr. Muß sie wohl auch nicht.....
Ein gutes Jahr später dürfen wir uns dann alle wieder treffen. Die Mauer ist weg, wir leben alle wieder in einem Land und keiner kann uns mehr trennen. Die „junge Familie“hat noch einmal Zuwachs bekommen – Fabian – und ist gar nicht mehr so jung. Aber vergessen können wir alle eines nicht:
Es sind oft seltsame Wege, die wir gehen müssen. Aber weil es Gottes Wege sind, führen sie halt doch zum Ziel ..... .




Otto

Von Hubert Schierl

Es gibt Geschichten, die kann man nicht erfinden, die muss das Leben selber schreiben.


So wie diese: Himmelfahrtstag 1990. Deutschland ist so halbe halbe wieder vereinigt, keiner weiss so recht, wo es lang geht, alle Möglichkeiten sind offen ..... . Erstmalig fahren die Männer mit ihren Bierkisten und -fässern am Dreiländereck über die Grenze ins Oberfränkische nach Prex, keiner schaut hin, alle Hinderungsgründe sind vergessen, Grenzzaun und Wachturm sind nicht mehr...........

WIR SIND DEUTSCHLAND

Schön ist das und wir freuen uns darüber.

Auch ich bin unterwegs.

Kürzlich sind unsere Eltern aus Siebenbürgen nach Deutschland gekommen. Über 6 Jahre haben wir gekämpft, die beiden Altvorderen hierher zu bekommen.Unser Rechtsanwalt in Zwickau konnte uns auch nicht wirklich helfen.
Eigentlich wollten wir sie ja in die DDR übersiedeln lassen, aber das scheiterte trotz intensiver Bemühungen nicht nur seitens der DDR-Behörden. Die waren ja ganz lieb. Der grosse Genosse Ceausescu sagte „NJET“, als er von Herrn Honecker auf den Fall „Schierl / Löprich „angesprochen wurde. Und das war wirklich so...Am Ende durfte er sich den KARL-MARX-ORDEN abholen, der grosse Genosse. Half ihm aber auch nichts mehr, seine Tage waren gezählt.
Nun ist plötzlich alles ganz anders... . Die Eltern sind jetzt im Westen, wir im Osten.
Wir wollen in Prex (Westen) eine Wohnung für die Eltern meiner Frau herrichten , zumindest will ich dabei helfen, wir geben uns gemeinsam Mühe. Fred, der Vater von Siegfried, sitzt mit im Auto. Wir kommen nach Blosenberg, zum Grenzübergang nach Ullitz.
Die DDR -Grenzer möchten unsere Pässe sehen, Fred hat einen rumänischen Pass und deswegen dauert es etwas länger. Da schaut Fred nach hinten und sieht einen Mann mit Rucksack.
„Den kenn' ich“, sagt Fred und gibt mir zu verstehen, dass der Mann im Hintergrund ein Bekannter von ihm ist, mit dem gemeinsam er in Kronstadt / Brasov / Siebenbürgen seinen Pass abgeholt hat. Otto – wie wir später erfahren – war schon einige Tage unterwegs. Er kam wirklich aus dem Kreis Kronstadt und er hat wirklich seinen Pass gemeinsam mit Alfred abgeholt.
Nun war er unterwegs nach dem Westen, aber ohne Ziel.
Der bayerische Grenzbeamte schickt ihn zurück. Otto hat keinen Grund - und kein Visum!
Otto ist verzweifelt und geht wieder. Der Westen ist ihm versperrt, so scheint es. Und dabei wollte er doch nur mal „Hof sehen“.
Auch ich bin einige Stunden später wieder auf dem Heimweg nach Straßberg. In der Höhe Autobahnbrücke Pirk sehe ich OTTO, ziemlich deprimiert auf dem Rückweg von der Grenze Richtung Plauen laufen. Sein Rucksack scheint mir noch viel schwerer, er kann nicht mehr... . „OTTO“, sage ich, Sie heissen wohl „OTTO.“ .... und Sie kommen wohl aus dem Kreis Kronstadt in Rumänien ... . 
„Woher wissen Sie das?“ ...
Nun, ein Wort gibt das andere. Am Ende sitzt OTTO in meinem Wartburg-Auto, verschwitzt, verhungert und eingeschüchtert, weil er nicht genau weiss, mit wem er es zu tun hat. Ich könnte ja auch einer von der „Firma“ sein. Bin ich aber nicht.


Ich nehme ihn mit nach Straßberg – erst mal „runderneuern“, Badewanne, was essen usw.... Aber der bayrische Grenzer, mit dem ich über OTTO geredet habe, hat mir gesagt: Komm' wieder, solange ich noch im Dienst bin, dann kann der OTTO doch noch nach Hof und – wenn Du es mir versprichst, dass Du ihn nach Nürnberg in das Aufnahmelager bringst, dann darf er auch bleiben. Also muss alles schnell gehen. Meine Jungs machen was zum Essen, OTTO geht unter die Dusche und dann geht es schon wieder ab in Richtung Ullitz, nach dem Westen.
Kaum zwei Stunden sind vergangen. OTTO ist fit und im Westen. Gerade sind wir in Ullitz über den Grenzstreifen gefahren, da soll ich mal anhalten. Er muss mal... . Und dann geschieht das ganz Besondere: OTTO kniet nieder und küßt den westdeutschen Boden. Irgendwie ist er angekommen. 
Soweit ich weiß, lebt OTTO derzeit in Bad Berneck, es ist also eine wahre Geschichte......... 

Freitag, 5. April 2013

Das große Finale

Von Hubert Schierl

Nun sind wir also in der Endrunde unserer Hochzeitsvorbereitungen.


Seit Mittwoch ist reges Leben und Treiben im Haus und Hof der Schwiegereltern. Jeden Tag sind mindestens 10 Frauen da und backen, was das Zeug hält. Tante Anna aus Mediasch ist angereist. Sie ist zuständig für das Kleingebäck und lebt seitdem nur noch von Kaffee und Zigaretten. Tagelang ! Ein Glück, dass wir „Westgäste“ haben und an Kaffee kein Mangel herrscht.

An mindestens 5 verschiedenenen Backöfen, im Dorf verteilt, wird Brot gebacken. Auch bei der Großmutter in ihrem kleinen Häuschen, in dem sie alle ihre 7 Kinder in den schweren Kriegsjahren allein groß gezogen hat. Ihr Mann war ja im Krieg und kam nur ab und an auf Urlaub...... Später hat es ihn nach dem Westen verschlagen. Großmutter blieb allein. Mein   Vater, der gelernte Bäckermeister, macht auch mit und knetet Teig. Überall duftet es nach frischem Brot. Über 50 große Laibe – so habe ich mir später sagen lassen – sind es. Immerhin wollen die zahlreichen Gäste ja schon vor der Hochzeit etwas essen. Brot, Kuchen, Kleingebäck – das ist die Sache für die nimmermüden Frauen. Derweil haben die Männer auch ihre Sorgen: Das Schwein muß geschlachtet werden. Bei der Hitze im August eine echte Herausforderung. Sonst heiratet man ja lieber im Herbst oder Winter, wenn keine Arbeit auf den Feldern ist und die kühlen Temperaturen für Frische sorgen. Uns ist der Termin staatlicherseits vorgegeben und so hat sich alles danach zu richten. Es muß also alles mal wieder schnell und vor allem sauber zugehen. Aber bei dem Schwein allein kann es nicht bleiben. Schließlich wollen die Leute auch Suppe vor dem Braten. Und für die erwarteten 300 Leute (Kinder gar nicht exakt mitgerechnet) braucht es schon eine Menge. Also lassen auch noch 52 unschuldige Hühner ihr kurzes Leben, um in den Kesseln der Gourmetköchinnen zu landen. Nachdem auch diese Tierchen sauber ausgenommen und von ihrem Federkleid befreit sind, werden sie noch an den Beinen „gefesselt“ und in den großen Suppenkessel, der eher einem hier ortsüblichen Waschkessel gleicht, getaucht, um dort Ihr „Fett ab zu kriegen“. Schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren erlebe ich diese Zeremonie und der Geschmack ist bis heute im Gedächtnis..... Hühnersuppe mit selber gemachten Nudeln, die schon eine Woche vorher im Hochzeitshaus produziert und ganz fein mit dem Messer per Hand geschnitten wurden. Aus Agnetheln wird per Moskwitsch noch eine halbe Kuh herangeschafft. 
Alles muß sauber koordiniert werden und das ist die logistische Meisterleistung von Mutter Anna. Niemand könnte das so gut wie sie. Und dabei hat sie es gar nicht mal so leicht, denn jede der anwesenden Damen hat auch ihre eigenen Erfahrungen mitgebracht und manch eine weiß immer alles am allerbesten..... Da braucht es schon Durchsetzungsvermögen! Aber Mutter Anna schafft das souverän – auch wenn sie hinterher wohl mindestens fünf Kilo abgenommen hat.

Derweil fahren Vater Hans und ich zusammen mit Hug im guten alten Mossi (Moskwitsch-Auto) hinunter ins Kokeltal, um den Hochzeitswein zu besorgen. In Arbegen in der Kellerei werden wir fündig. Bestimmt ist es eine „Kokeltaler Mädchentraube“, die wir uns aussuchen – jedenfalls ein „Weinchen“, wie es kein zweites gibt. Gerade gut genug für den festlichen Anlaß!! Also nehmen wir genug davon mit. Wie das arme Auto das geschafft hat, weiß ich nicht mehr. Aber am Ende ist der Wein in seinen Fässern im Kulturhaus in Martinsdorf – dem Festsaal – gut gelagert und der Schuster-Onkel (der Pate von Anne) hat die ehrenvolle Aufgabe, von nun an bei Tag und Nacht Wache zu halten, damit keiner auf dumme Gedanken kommt und der Wein sich „beruhigen“ kann nach den Strapazen des Transports. Wie man mir später sagt, hat er sogar bei den Fässern geschlafen. Über den Brautstrauß habe ich ja anderenorts schon berichtet. Wie gesagt, es war kein leichtes Unterfangen, überhaupt ein halbwegs würdiges Exemplar zu bekommen.


Und nun ist Sonnabend vor der Hochzeit. 
Schon nachts gegen 2 Uhr klingelt der Wecker, wir müssen raus aus den Federn – Leute zur Arbeit rufen. Annes Jugendfreunde sind vollzählig angetreten, einer hat sein Akkordeon mitgebracht und dann geht das los mit Musik und großem Getöse kreuz und quer durch's Dorf. An diesem und jenem Hoftor machen wir halt und dann wird gesungen. „Meister Jakob, schläfst du noch?“ und ähnliche Texte. Während der eine Teil der Truppe singt, machen sich die anderen, meist die Jungs, „nützlich“ und heben schon mal die Tür zum Schweinestall aus, damit die lieben Tierchen auch Freiheit haben, oder treiben die Kuh schon mal vorzeitig auf die Weide. Alles sehr zur „Freude“ der Einwohner, die das Spiel aber schon kennen und deshalb auch recht tolerant sind. Am Ende sind wir hundemüde zurück auf dem Hochzeitshaus und die armen Frauen, die wir in aller Frühe mit einem kräftigen Schnaps geweckt haben, müssen einen ganzen Tag lang noch schwer schuften, damit am Sonntag alles zur Hochzeit parat ist. 
Nun gilt es! Die Hauptarbeit ist nunmehr im Saal. Die Frauen rühren, kochen und brutzeln, die Jugend richtet die Lokalität festlich her. Das Brautpaar wird geschont. Immerhin haben wir noch die „Betstunde“ beim „Herrn Vater“ - so nennen sie den Ortspfarrer in der Tat damals noch, zu absolvieren. Übrigens, war seine liebe Frau die „Frau Mutter“. (Später, als ich selber Dorfpfarrer bin, wünschte ich mir nur ein wenig von diesem Respekt!!) 

Und dann ist Sonntag, der 19. August 1973! Bis gegen 10 Uhr haben sich alle geladenen und sicher auch noch ein paar Zaungäste im Kulturhaus versammelt. Erst einmal gibt es eine kräftige Suppe, denn mach einer ist schon seit den frühen Morgenstunden per Bus unterwegs. Ein eigenes Auto ist eher die Ausnahme. Und bei der Infrastruktur ist die Anreise selbst innerhalb des Kreisgebietes Hermannstadt langwierig. Dann geht es mal kurz in die Quartiere, das „hochzeitlich' Gewand“ anzulegen und schon wenig später kommt man wieder im Saal zusammen zur „großen Verbrüderung“. Ich habe diese Zeremonie schon einmal in Hetzeldorf gesehen: Braut und Bräutigam verabschieden sich formell bei ihrem jeweiligen Familien und bitten in der je anderen Familie um Aufnahme. Professor Chrestel, Annes Lehrer, und mein lieber Freund Hug (der eigentlich Rainer heißt) wachen darüber, dass alles ordnungsgemäß abläuft. Überhaupt werden die beiden Herren für den Rest des Tages „Den Hut auf“-haben und dafür sorgen, dass die ganze Gesellschaft von über 300 Leuten ordnungsgemäß nach „Sitt' und Brauch“ die Hochzeit erlebt. Auch wir, das Brautpaar, haben uns vor der Zeremonie noch einmal kurz zurückziehen können, um uns anzukleiden. Schließlich wollen wir ja im „Brautmoskwitsch“, der kurz vorher noch Wein- und Kuhtransporter war, feierlich vor dem Kulturhaus auffahren. „Noblesse oblige“ - Adel verpflichtet! 
Dann formiert sich die gesamte Gesellschaft zu einem Hochzeitszug. Vorweg ich, der Bräutigam, flankiert von Prof. Chrestel und Hug (vielleicht auch, damit ich nicht mehr weglaufen kann.....?) Hinter uns Anne, die Braut, im wertvollen Spitzenkleid von 1943, geleitet von Suni und Monika, Hug's Frau. Und dann der schier endlose Zug von jungen Paaren in Martinsdorfer Tracht. Das haben wir dem Professor Chrestel zu verdanken, der uns eingeschärft hat, dass es anders nicht geht. Nach „Sitt' und Brauch“ eben! Und dann der Rest – die Eltern, die Onkels und Tanten, die aus- und inländischen Gäste.......Und nicht zu vergessen die vielen Kinder. Etliche Schaulustige stehen am Weg zur Kirche, die wir unter Glockengeläut und Orgelspiel betreten. Den Gottesdienst zu unserer Trauung erleben wir stehend. (Später beneide ich dann die Paare, die ich selber trauen darf: Die können sitzen). Unser Freund Fred predigt über unseren Trautext: „Ihr sollt Euch zuerst um das Reich Gottes kümmern und Ihr werdet erleben, dass viele Dinge sich dann von allein regeln“. So ähnlich steht es jedenfalls in der Bergpredigt des Herrn Jesus bei Matthäus. Und dann passiert etwas, das wir alle, die wir es erlebt haben, wohl nie vergessen werden: Von der Orgelempore ertönen klare volle junge Männerstimmen im Quartett und singen für uns den Psalm 23 : „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“. Der gute Professor Chrestel hat ein paar Burschen vom Dresdener Kreuzchor mitgebracht, die gerade auf Urlaubsfahrt in Siebenbürgen sind und einmal eine originale siebenbürgische Hochzeit miterleben dürfen. Beides, der Predigttext und der Psalm, haben bis auf den heutigen Tag nichts von ihrer Aktualität verloren. Und das sind derweil 40 Jahre. Die Erfahrung, dass es uns an nichts mangelt, machen wir immer wieder. Wir können sogar mit anderen teilen und das ist gut so. Und dass wir uns bei Gott gut aufgehoben wissen, erlebten und erleben wir auch immer wieder. Ja und dann der große Moment: Wir stecken einander die Ringe an, Fred segnet uns und dann darf ich meine junge Frau ganz allein aus der Kirche hinausführen. Nun brauchen wir keinen „Begleitschutz“ mehr. Das ist ein erhebender Moment. 
Kurzer Fotostop unter dem Kirchenportal für die anwesenden in- und ausländischen Gäste und dann geht es im langen Zug quer durch's Dorf bis zu Annes Elternhaus. Ich denke, das ist eindrücklicher, als jede Maidemonstration..... 
Ein paar Kinder verwehren uns noch den Eintritt in den Hof und wollen einige Münzen haben. Das wird großmütig gewährt und dann geht es ans Gratulieren und Schenken. Wir hatten unseren ausländischen Gästen gesagt, sie möchten uns erst in Deutschland beschenken und den Inländern haben wir zu verstehen gegeben, dass uns mit Geld am besten zu helfen sei. Trotzdem türmen sich auf dem Gabentisch die Geschenke. Mutter Anna hat zu tun, die Übersicht zu behalten und unsere Gäste aus den beiden Deutschlands müssen später vor dem Zoll an der Grenze schwitzen, weil sie die guten Gaben transportieren müssen. Später kriegen wir auf Umwegen alles wieder zusammen... . Der Rest des Tages ist Freude, gutes Essen, Tanz und Unterhaltung mit unseren Gästen. Alles, was fleißige Hände vorbereitet haben, ist wohl gelungen und findet guten Absatz.. Die liebe Sonne meint es gut mit uns, der schwarze Anzug wird langsam schwer vom Schweiß und so wird es Mitternacht – das offizielle Ende der Hochzeit. Der „Herr Vater“ nimmt Anne den Schleier ab und übergibt ihn ihrer Mutter. Ich werde des Sträußchens an meinem Anzugrevers beraubt, welches meine Mutter erhält und so soll symbolisiert werden, dass es nun vorbei ist mit dem Brautstand. Der Alltag beginnt. Vorher dürfen wir uns beim „Windeltanz“ noch etwas Kleingeld für den künftigen Nachwuchs verdienen und dann heißt es Abschied nehmen vom Brautstaat. Schnell mal heimgehen, „Zivil“ anziehen und dann kommt etwas, das zumindest ich nur schwer verkrafte: Anne und ich müssen mitten in der Nacht, so gegen 3 Uhr, unsere sämtlich Gäste – soweit noch munter – mit einer letzten Mahlzeit bedienen. Zum Glück haben wir ein paar helfende Hände, aber das ist in der Tat eine schwere Aufgabe.
Über die „Hochzeitsnacht“ sei der gnädige Schleier des Schweigens gelegt. Ich weiß jedenfalls, dass sie arg kurz ausgefallen ist.

Eine Woche haben wir nun noch Zeit, dann muß ich den Heimweg antreten, weil der Dienst beginnt. Pünktlich am 28. August habe ich mich in der Evangelischen Akademie zu Meißen einzufinden zum Einführungslehrgang für den Kirchlichen Vorbereitungsdienst (Vikariat). Diese paar wenigen Tage gilt es nun noch zu nutzen für die „Flitterwochen“. Annes Tante Katharina und ihr Mann Martin wohnen mit ihren zwei Kindern Irmgard und Martin in Victoria-Stadt, direkt im Karpatengebrirge. Diese lieben Menschen stellen uns für drei Tage ihre Wohnung zur Verfügung und so haben wir wenigstens ganz kurz Gelegenheit, unsere Zweisamkeit zu genießen und uns von den Aufregungen der letzten Tage, Wochen und Monate zu erholen. Es sind drei herrliche Tage, unbeschwert, aber doch auf's neue überschattet von der erneut bevorstehenden Trennung, denn obwohl wir nun nach Recht und Gesetz verheiratet sind, darf ich Anne noch lange nicht mitnehmen nach Deutschland. Sie muß erst mal einen Antrag zum Verlassen des Landes und zur Übersiedelung zu ihrem Ehemann stellen. Und niemand weiß, wie lange das nun wieder dauern wird.......


Machen wir es kurz:

Anfang Dezember 1973 bekomme ich dann die Nachricht, dass Anne dann und dann mit dem Flugzeug aus Bukarest kommend in Berlin – Schönefeld eintreffen wird. Vorher hat mein Vikariatsvater Vödisch in Plauen noch ein Einsehen und erlaubt mir eine schnelle Woche Siebenbürgen. Ich danke es ihm heute noch! Ich glaube, es ist ausgerechnet der Nikolaustag, als ich in Plauen den Schnellzug nach Berlin besteige. (Auch der ganz große „Überrumäne“ hieß Nikolaus !) Natürlich hat der Zug Verspätung und ich sehe den Flieger, der meine Frau an Bord hat, schon landen. Mit hängender Zunge haste ich zum Flughafengebäude und dann ist es endlich endlich so weit. Wir sind als Eheleute glücklich vereint. Von unserem ersten Kennenlernen bis zu diesem denkwürdigen Tag sind sage und schreibe zweieinhalb Jahre vergangen! 
Natürlich haben wir noch ein paar kleine bürokratische Aufgaben: Man hat Anne in Rumänien noch gesagt, dass der erste Weg sie zur rumänischen Botschaft zu führen habe, wo sie sich registrieren lassen muß, damit sie nicht in letzter Minute noch die Kurve nach dem Westen nimmt. Auch das wird pünktlich erledigt und wo wir nun einmal in der „Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik“ sind, wollen wir natürlich auch das Kleingeld, das mir die Mutter in Oelsnitz noch zugesteckt hat, ausgeben und für Anne gleich ein paar nette zeitgemäße Klamotten kaufen, die es so in der Provinz nicht gibt. Müde aber glücklich kehren wir nach Plauen zurück und beziehen unser „Ein-Raum-Appartement“ bei der Pfarrerwitwe Brunner, die mit ihren zwei Kindern in der Uhlandstraße wohnt. Küche und Bad nutzen wir gemeinsam, das ehemalige Arbeitszimmer ihres Mannes ist unser Zuhause. Unsere Bettsachen verstauen wir eine halbe Treppe tiefer in einer Truhe in einer Toilette, schlafen dürfen wir auf einer blauen ausziehbaren Couch, unser Monatseinkommen beträgt 330.- M/DDR und so starten wir in unser gemeinsames Leben.........

Aber: Wir haben es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft !!!!! 

Endlich am Ziel

Von Hubert Schierl

„Studium ex – Amen“ !- so lautet das Telegramm, das ich meinen Eltern Mitte Juli 1973 nach Oelsnitz schicke. 14 Semester – 7 lange Jahre – Theologiestudium habe ich hinter mir. Was ist in dieser Zeit alles geschehen: Der Abriss der Uni-Kirche in Leipzig, das Jahr 1968 mit seinen studentischen Unruhen im Westen Deutschlands und dem Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten in der CSSR,die erste Mondlandung der Amerikaner, der Kniefall von Willy Brandt in Warschau, meine Zeit als Pfleger im Krankenhaus, die Reisen nach Rumänien, das Eisenbahnunglück bei Schweinsburg-Culten, wo ich im dritten Waggon saß – um nur ein paar markante Punkte aufzuzählen.
Obwohl ich wegen meiner politischen Einstellung nicht zum Abitur zugelassen war, keine „Erweiterte Oberschule“ besuchen durfte, habe ich es geschafft. Die alten Sprachen, Latein, Griechisch, Hebräisch sind bewältigt – mehr oder weniger gut. Ich denke an das Hebraicum, das ich mit viel Geschick und dem Fundus von immerhin 3 – 4 Vokabeln mit Note 1 b geschafft habe. Das war unter anderem dem guten Pfarrer Steyer zu verdanken, dem Sprachgenie am Theologischen Seminar. Der saß bei der mündlichen Prüfung hinten in der Prüfungskommission und hat heimlich geflüstert.... Er hat wohl gewußt, wie beliebt Hebräisch bei den Studenten war. Er selber war „Grieche“.
Den schriftlichen Text hatte uns unfreiwillig der Dr. Hermann, unser Alttestamentler, verraten, indem er uns ein Schlüsselwort gegeben hatte. Die restlichen Prüfungen im Alten und Neuen Testament, in der Predigtlehre, der Dogmatik, Missionsgeschichte und wie die Fächer sich alle nannten, sind vorüber. Nun spielt die Prüfungsangst keine Rolle mehr !

„Studium ex – Amen“.

Vorbei die Anspannung vor den Examina, der schwarze Anzug darf im Schrank in der Studentenbude Platz nehmen.

Mutter kommt nach Leipzig, läßt sich von mir mal ganz vornehm ausführen und bezahlt die Schmiere auch noch... . Das tut gut !

Es ist ein Stück neues Leben – wenn da nicht noch das Problem mit der Heiratsgenehmigung wäre ... . Ich löse meine „Bude“ in Leipzig auf, indem ich mir „Postmietbehälter“ - das sind große stabile Kartons – bei der Post (wie der Name schon sagt) ausleihe, mein Hab und Gut darin verstaue, die Bücher, die Schallplatten, alles eben, was nicht in den Koffer geht, und dann nix wie fort nach Martinsdorf zu Anne!

Immerhin sind dies die letzten unbeschwerten großen Ferien. So schön wird es nie wieder! Soviel weiß ich. Im Herbst soll ja das Vikariat in Plauen beginnen und dann wird es ernst....

Also: Nochmal durchatmen und den Tag genießen. Wir beide, Anne und ich sind froh, dass wir wieder beieinander sind und freuen uns unseres Lebens. Die nicht vorhandene Heiratsgenehmigung haben wir schon fast vergessen. Wir fahren mit dem Bus zu Suni und Helmut, die mit der kleinen Agathe in Großschenk wohnen. Die haben da ein schönes Haus, Helmut hat es als Maurer gut auf „Vordermann“ gebracht und so läßt es sich leben ... .

Bis eines schönen Morgens Suni ganz aufgeregt in unser Schlafzimmer stürmt:

„Ihr dürft heiraten, die Genehmigung ist da!“

Die Eltern aus Martinsdorf haben über die Postzentrale nach Großschenk angerufen und die Mitteilung gemacht. Nun aber ganz schnell ! Tasche packen und ab nach Martinsdorf. Herzklopfenderweise kommen wir dort an und halten ein offizielles Schriftstück in der Hand: Innerhalb der nächsten 3 Wochen haben wir vor einem rumänischen Standesamt die Ehe zu schließen, andernfalls erlischt die Genehmigung.

Bis dahin gibt es aber nun noch eine Menge zu tun. Ein Termin für das Standesamt muß gefunden werden. Wir beschließen, die standesamtliche Trauung auf dem Dorfrathaus von Mihaileni zu beantragen. Anne hat da einen entfernten Verwandten, der ist Vizebürgermeister, spricht deutsch und hat das Recht, uns zu verheiraten. Den Termin legen wir fest auf den 09. August 1973 im Gemeindeamt Mihaileni, ungefähr 5 Kilometer von Martinsdorf entfernt.

Aber noch viel wichtiger ist, einen Termin für die kirchliche Trauung zu finden. Es sollen ja auch von meiner Seite Leute eingeladen werden, die mir bei dem wichtigen Schritt in's Eheleben beistehen. Die Eltern sollen kommen, Freunde aus Oelsnitz und Umgebung, Studienkollegen aus Leipzig, die Tante aus der Altmark, Verwandte aus Oberfranken und Jan aus Tschechien. Insgesamt sind es wohl ein paar zwanzig Menschen, die wir einladen wollen. Ganz wichtig ist auch das Hochzeitskleid für Anne und der Anzug für mich. Tracht geht nicht, da ich kein Siebenbürger bin, also bleibt nur „bürgerlich“. Aber wir haben buchstäblich nichts. Die Eltern müssen alles mitbringen. Manches kann dann doch noch vor Ort ergänzt werden, aber es wird schon eine Improvisation ... . Telegramme gehen hin und her, von Martinsdorf nach Oelsnitz und zurück, Listen werden geschrieben, Besorgungen müssen erledigt werden und das alles ohne Auto .... . Mit dem Ortspfarrer vereinbaren wir Sonntag, den 19. August 1973 für die kirchliche Trauung. Annes Eltern fahren am Limit, denn es sind insgesamt etwa 300 Personen zur Hochzeit einzuladen und das bedeutet, alle Lasten der Beköstigung, Unterbringung und Betreuung der Gäste ruhen auf ihnen. Die Leute aus Deutschland können mangels Erfahrung herzlich wenig beitragen. Ein Wunder wird sein, wenn alle überhaupt pünktlich anwesend sein werden. Immerhin dauert die Bearbeitungsfrist für eine Reisegenehmigung in der DDR mindestens 14 Tage. Später erfahren wir dann, dass es auf dem Polizeiamt in Oelsnitz eine offizielle Dienstanweisung gegeben hat. „Wer zu der Hochzeit von dem Schierl nach Rumänien will, bekommt seine Reisebewilligung innerhalb von 24 Stunden!“ Ein Glück aber auch ! 

Und dann kommt der 9. August - der Tag der standesamtlichen Trauung. 

Heinrich Schobel, der Kutscher auf der Staatsfarm, hat die Pferdchen eingespannt, die Kutsche geputzt und fährt vor dem Elternhaus von Anne vor, um uns nach Mihaileni zu kutschieren. Zum Glück hatte ich mir wenigstens einen leichten Sommeranzug eingepackt und Anne hat einen schicken Hosenanzug, so sind wir halbwegs „in Form“ für diesen wichtigen Akt, der uns so viel Zeit und Kraft gekostet hat. Der Nachbar, Klaus Thalgott, der „Herr Ingenieur“, wie Annes Mutter ihn nennt, hat seine russische „Isch“ - das ist so ein uriges, tuckerndes, „handgeschmiedetes“, wohl mit Hammer und Sichel gebautes Motorrad mit Beiwagen – flott gemacht, besteigt dieses und läßt den Vater Hans mitsamt einem 5-Liter-Krug voll Wein im Beiwagen Platz nehmen. Die beiden sollen unsere Trauzeugen sein und mit dem Wein soll später die Anspannung „gelöscht“ werden. Ab geht die Post in Richtung Standesamt. Uns beiden „Deliquenten“ fällt nichts besseres ein, als auf unserer Kutsche das schöne Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ anzustimmen. War es jugendlicher Leichtsinn, war es die Freude, es endlich geschafft zu haben oder haben wir vielleicht gar nicht kapiert, was wir da zu tun im Begriff waren ??? Herr Wagner, der Standesbeamte, empfängt uns im Rathaus zu Mihaileni. Auch er hat sich festlich gekleidet, er trägt zu seinem Holzfällerhemd die blau-gelb-rote Schärpe in den rumänischen Nationalfarben. Seine Rede fällt zum Glück kurz und schmerzlos aus. Er muß uns freilich von der „kleinsten Keimzelle der sozialistischen Gesellschaft“, der Familie etwas erzählen, aber wir alle haben das Gefühl: Nun reicht es, laßt uns die Sache mit den Unterschriften beenden, damit wir zum Kernpunkt kommen, und das ist nun mal der Krug mit dem Wein, der seitlich vom Schreibtisch steht. Wir stoßen miteinander an, alle wünschen uns Glück und der Herr Wagner zieht mit dem Rest vom Wein fröhlich seiner Wege. 
Die Rückfahrt ist genau so fröhlich, wie die Anreise und nu sind wir ganz hochoffiziell ein Ehepaar. Freilich hat Anne noch mit ihrem Mädchennamen unterschreiben müssen, aber das ist nun Vergangenheit, es beginnt etwas völlig Neues .... wir sind vor dem Gesetz verheiratet, allen Widrigkeiten zum Trotz! 
Für großartige Feierlichkeiten ist nun keine Zeit mehr. Es bleiben uns noch genau 10 Tage bis zur „eigentlichen Hochzeit“. Diese Tage näher zu beschreiben übersteigt im Nachhinein das Vermögen des Chronisten. Es sind so unendlich viele Details zu bedenken und zu bewerkstelligen. Schließlich soll alles gut sein, man möchte sich auch sehen lassen können mit dem, was man da auf die Beine stellt. So bleibt uns, Anne und mir, die Aufgabe, uns um die Dinge am Rande zu kümmern. 
Inzwischen ist Hug mit seiner Frau Monika eingetroffen, mein lieber Kommilitone aus Leipzig und nun haben wir auch ein Auto zur Verfügung. Es ist ein alter „Moskwitsch 408“, aber er fährt und wir sind etwas beweglicher. Benzin gibt es zu der Zeit noch und so können Besorgungen nunmehr per Auto gemacht werden. 
Jeden Tag kommen neue Gäste. Die Eltern reisen an und bringen Brautkleid und Anzug mit. An alles haben sie gedacht. Mutter hat ihr eigenes Hochzeitskleidaus Plauener Spitze ausgegraben, das sie 30 Jahre vorher selber getragen hat, mein schwarzer Anzug ist auch da, selbst an die „Fliege“ haben sie gedacht, aber was wir nicht haben, ist ein Schleier und ein Unterkleid für die Plauener Spitze ... . Da kommt uns sehr entgegen, dass Reisen schlau macht. Gertrud muß helfen! Gertrud ist die Tochter des Pfarrers von Pretai, die vor wenigen Wochen selber geheiratet hat. Ich habe sie bei der Anreise im Zug kennengelernt und irgendwie hatte sie mir erzählt, dass sie genau die Utensilien daheim hat, die uns nun schmerzlich fehlen. Also auf nach Pretai, Unterkleid und Schleier holen. Von Gertruds Vater, Pfarrer Müller, werden wir freundlichst empfangen und er bietet mir sogar an, mich für eine Pfarrstelle in Oesterreich vorzuschlagen. Der Gute ....... 
Aber das Beste am Pfarrhaus von Pretai ist das sogenannte „Mehrschissige Klosett“ - das hatte ich bisher noch nicht gesehen: Ein Stilles Örtchen mit zwei Öffnungen nebeneinander, so dass man sich beim „Geschäft“ auch noch über's „Geschäft“ unterhalten kann. Auf das Probesitzen habe ich bis heute verzichtet. 
Ganz wichtig ist auch die Frage des Hochzeitsstraußes. Anne wünscht sich Nelken. Also fahren wir nach Hermannstadt zum Blumenladen. Immerhin sind es gute 60 km teilweise abenteuerliche Straße, aber der „Moskwitsch“ macht das schon. Wir fahren einmal, wir fahren zweimal und auch dreimal. Am Ende werden wir doch fündig. Es ist zwar nicht das Gebinde, das wir gern wollten, eher etwas rustikal, aber wir haben einen Strauß. Nun muß der nur noch halten bis zum großen Tag ... . 
Wie gesagt, kommen jeden Tag neue Gäste aus den beiden Deutschlands an. Die Westler kommen mit dem „Wiener Walzer“, dem Schnellzug aus der gleichnamigen Donaumetropole und müssen in Hermannstadt abgeholt werden. Die „Ostler“ kommen mit dem „Baldrian“-Express direkt aus Leipzig bzw. Berlin oder Dresden und steigen in Mediasch aus. Die jungen Leute sind fündig und suchen sich die Busverbindung nach Martinsdorf alleine, Tante Lori und Frau Wetzel wollen wir jedoch abholen. 
Der „Herr Ingenieur“ spannt noch einmal seine Russen-Isch ein und wir fahren dem Zug entgegen bis nach Blasendorf. Dort wollen der Vater Hans und ich einsteigen, die beiden Frauen suchen und in Mediasch aus dem Zug geleiten. Klaus soll dort schon mit dem Motorrad warten und das Gepäck aufnehmen, wir sollen dann mit dem Bus nachkommen. So weit der Gedanke, und der ist auch ganz gut, nur haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die beiden erwarteten Frauen sind nicht an Bord des Zuges. Dafür kommen sie einen Tag später auf abenteuerliche Weise in Martinsdorf per Bus an. Auch sie haben es geschafft! 
Genau wie Peter mit seiner Frau Marlene, die zusammen mit Marlenes Bruder nebst Frau mit zwei Trabis anreisen sollen. Irgendwo in den Westkarpaten haben sie sich derart „verfranst“, dass sie meinen, irgendwo in der Taiga zu sein. In einer Zeit ohne Navigationshilfe, mit ganz viel Sprachproblemen und mangelhaftem Landkartenmaterial eine logistische Meisterleistung. 
Kleine Dinge am Rande, die eine solche Feier erst interessant machen ... . 
Uns jedenfalls wird nicht langweilig. Zum Glück spielt das Wetter mit und unsere lieben Gäste können sich – soweit sie nicht zu Handlangerarbeiten herangezogen werden – selber beschäftigen. Die Tage vergehen und schließlich kommen die Vorbereitungen in die „Zielgerade“.

Aber das ist nun wieder eine Geschichte für sich .....................























Ein kleiner Vorgeschmack auf die nächste Geschichte. 
Ich zumindest freue mich schon sehr darauf! 

Der Kampf gegen die Windmühlen

Von Hubert Schierl

Da sitzen wir also mit unserer Weisheit. Der Herr Rechtsanwalt Blaga hat uns geholfen, die „Papiere“ sind eingereicht, das Wörtlein „Warten Sie zuhause“ haben wir oft gehört und getrennt sind wir immer noch. Anne ist nach wie vor in Hermannstadt und ich bin in Leipzig und alles scheint seinen langsamen Gang zu gehen ..... .

Bis ich dann wirklich beschließe, die Sache zu beschleunigen. Immerhin habe ich ja eine Schreibmaschine.

Und so beginne ich, Briefe zu schreiben.

Der Parteichef von Hermannstadt heißt Winter, das weiß ich und seine Adresse kriege ich auch raus. Also schreibe ich ihm einen Brief und trage unser Anliegen vor: „Wir möchten gern heiraten und wenn wir verheiratet sind, wollen wir in der DDR leben. Unter befreundeten Ländern dürfte das doch kein Problem sein ...“ und so weiter ...

Als nach zwei Wochen noch keine Antwort da ist, schreibe ich wieder. Ähnlicher Wortlaut, gleiches Anliegen. Immerhin denke ich mir, der Mann ist ja ein Deutscher, der muß unsere Absicht doch ernst nehmen! 

Denk'ste ! Nichts kommt zurück

Derweil habe ich auch eine Adresse von Bukarest – vom ganz großen Genossen Nicolae Ceausescu. Dem schreibe ich auch. Ganz viel „Bitte, bitte“ und Heischen um Verständnis – aber auch von da kommt nichts.
Und so gehen Briefe aus Leipzig in Richtung Rumänien – alle zwei Wochen einer nach Hermannstadt an den „Sehr geehrten Herrn Winter“ und jeden Monat einer nach Bukarest an den „Präsidenten der Sozialistischen Republik Rumänien“. Auch meine Mutter in Oelsnitz setzt sich für uns ein und schreibt Briefe. Das kann sie nämlich sehr gut! 
Aber es passiert gar nichts. Es ist, als wäre alles nicht geschehen. Dabei wissen wir aber durch die Rückscheine der Deutschen Post der DDR, dass unsere Briefe alle zugestellt wurden.

Ich komme mir vor wie Don Quichotte – die Windmühlen sind übergroß!
Monat um Monat vergeht und es geschieht nichts – es ist zum Verzweifeln ! Irgendwie sind wir abgehängt ... . 
Regelmäßig aller zwei Monate spreche ich in Oelsnitz beim Rat des Kreises vor und lasse mein „Ehefähigkeitszeugnis“ verlängern. Das ist die Bescheinigung dafür, dass ich noch immer unverheiratet bin und mein Heimatland nichts dagegen hat, dass ich eine Ausländerin heiraten will. Ich habe das Gefühl, dass ich den Leuten vom Amt in Oelsnitz langsam leid tue. Jedenfalls sind die alle ganz freundlich zu mir.
Bis ich eines schönen Tages auf die Idee komme, einen Brief nach New York zu schreiben und zwar an die „Division of Humen Rights“ - die Kommission für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen. Ich bekomme sogar Antwort, das hätte ich nicht glauben wollen. Man schreibt mir, dass es unser gutes Recht sei, die Eheschließung über Grenzen hinweg einzufordern – ein Menschenrecht eben. Alles schön auf Englisch, aber ich kann mich halbwegs „durchfitzen“.
Und Anne bekommt eine Einladung. Zur „Securitate“, dem rumänischen Staatssicherheitsdienst. Sie solle mir doch mitteilen, dass ich keine Briefe mehr schreiben soll. Das würde eh' nichts nützen. Ich kann mir vorstellen, wie ihr zumute ist. Mit diesen Leuten möchte man lieber nichts zu tun haben....

Trotzdem mache ich weiter und setze noch einen drauf: Ich schreibe auch noch an die deutschsprachige rumänische Tageszeitung „Neuer Weg“. Mein Freund Günter hat mir da einen Namen mitgeteilt. Ein Journalist, der manches bewegen kann. Ob das wohl hilft??

Inzwischen sind Monate vergangen.


Zu Weihnachten bin ich in Siebenbürgen. Agathe wird getauft, die kleine Tochter von Annes Schwester Sunhild und ihrem Mann Helmut. Es ist schön, das Christfest auch mal in der Fremde zu erleben. Vieles ist anders. Die Taufe ist sehr feierlich und es sind ganz viele Leute da. 


Am Silvestertag in der Nacht muss ich wieder in Richtung Leipzig abreisen.
Ich werde es nicht vergessen: Wir alle wollen uns gerade ein frohes Neues Jahr wünschen, da ist hinten im Hühnerhof großes Getöse. Offensichtlich ist da einer über den Zaun gestiegen und will sich einen Neujahrsbraten mit Gefieder holen ... . Ob er das geschafft hat, weiß ich bis heute nicht. Aber der Lärm war groß.... 
Ich muß zum Zug. Mitten in der Neujahrsnacht. Und die Reise geht auch ganz gut – bis Budapest. Dort wird in mehreren Sprachen mitgeteilt, dass die Reisenden jetzt alle aussteigen müßten, weil wegen der Schweinepest eine normale Weiterfahrt nicht möglich sei. Ich kann kein Wort Ungarisch, habe nur kapiert, dass der Zug hier nicht weiterfährt und ich auf einen anderen Bahnhof muß, um nach Hause zu kommen.
Ungarisches Geld habe ich auch nicht. Nur noch einen rumänischen Hunderter, der damals richtig viel wert ist. Immerhin ca. 40 Mark der DDR. Für einen Studenten eine Menge Kohle ....
Also bleibt mir nur ein Taxi, um von einem Bahnhof zum anderen zu kommen und beim Aussteigen bin ich schon recht froh, dass der ungarische Taximann meinen rumänischen Hunderter annimmt. Ich bin bei meinem neuen Zug und der Taxler hat ein gutes Geschäft gemacht – also ist allen geholfen. 
Die Reise geht weiter bis Bad Schandau an der DDR-Grenze. Dort sammeln dann die DDR-Zöllner erst mal alle Lebensmittel ein. „Schweinepest“ ist das Zauberwort.
Nur ich habe Glück: Weil ich aus Rumänien komme, darf ich meinen Reiseproviant behalten. Das gebratene Huhn, von dem der Zigeuner nichts wußte, bleibt mir also. Auch die „Fleischknödel“, die die Schwiegermutter so gut zubereiten kann, dürfen mit nach Leipzig und so ist die Ernährung mal wieder gesichert. 

Die Zeit läuft weiter und die Briefe nach Rumänien auch.
Es wird Frühling und der 1. Mai sieht mich schon wieder in Siebenbürgen. Ich habe mein letztes Semester angetreten, habe alle nötigen Testate beieinander, muß also zu keiner Vorlesung mehr, die mündlichen Prüfungen zum Studienabschluß haben noch ein paar Wochen Zeit, die großen Arbeiten sind geschrieben und was ich bisher nicht gelernt habe, kommt nun auch nicht mehr. Also bin ich in Martinsdorf.
Und das ist nun wirklich ein Erlebnis ! Ein Frühling, wie ich ihn hier zuhause noch nie kennen gelernt habe. Es ist warm, die Bäume haben schon volles Laub und zum 1. Mai gehen wir „demonstrieren“ mit Lammschnitzel vom Grill, frisch gebackenem Brot und Wein aus dem Keller. Die Jugend ist im Freien. Alle sind fröhlich und alle Sorgen scheinen vergessen.
Inzwischen gehöre ich ja mit dazu. Immerhin bin ich beinahe so oft in Martinsdorf, wie die anderen Jugendfreunde von Anne, die in der Stadt ihre Ausbildung machen oder schon eine Arbeit haben.
Es ist wieder eine schöne Woche, die uns dieses ewige „Warten Sie zuhause“ fast vergessen läßt. Wieder kommt ein leidiger Abschied, aber wir wissen, bis zum Sommer ist nicht mehr viel Zeit. Nur noch zwölf bis fünfzehn Prüfungen in Leipzig und das Studium ist vorbei. Dann sind die letzten großen Ferien und für uns kommt ein Wiedersehen.....
Was diese „großen Ferien“ uns bringen werden, wissen wir freilich noch nicht..... 

Donnerstag, 4. April 2013

Das verzögerte Brautpaar

Von Hubert Schierl


Wir schreiben 1972. Fast ein Jahr ist vergangen, seit ich Anne nicht mehr gesehen habe.

Der Postbote in Martinsdorf schreit noch immer nach Lohnerhöhung, weil er jeden Tag mehrere Briefe oder andere Kleinsendungen im Hause Löprich abgeben muß. Auch die Nachbarn wundern sich ein wenig, aber man ist zur Tagesordnung übergegangen, zumal die lieben Nachbarn ja auch nicht alles mitkriegen, da Anne während der Woche in Hermannstadt ist. Wir hatten vereinbart, dass Anne mich in Leipzig besuchen möchte, wissen aber zugleich, dass Reisen aus Rumänien in die DDR ziemlich schwierig sind, fast so kompliziert, wie nach dem Westen. Jedoch - nach eigenen Aussagen - ist Annes Vater Hans das „größte Eichhörnchen“ von ganz Rumänien – sprich, er nährt sich mühsam, findet aber immer einen Weg zum Überleben.
Wie er es gemacht hat, wissen wir bis heute nicht. (Wahrscheinlich kannte er jede Menge Leute, denen er auch schon mal was Gutes getan hatte – da mal ein Kilo Fleisch, dort mal einen Liter selbstgebrannten Schnaps....). Anne bekommt die Reisegenehmigung für einen Besuch in Leipzig und darf irgenwann Anfang Juli nach Beendigung ihres Schuljahres auf der Kantorenschule in Hermannstadt mit dem Balt – Orient – Express in die andere Richtung reisen. 
Ich habe noch ein paar Tage bis Semesterschluss, aber richtig viel passiert auch nicht mehr. So habe ich Zeit, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren..... Irgendwie habe ich schon herausgefunden, in welchem Waggon und welchem Abteil des großen Zuges aus Rumänien Anne ihren Platz hat und dann habe ich verinnerlicht, dass seit der erfolgreichen „Bekämpfung der Konterrevolution“ DDR-Bürger ohne jedwede Formalitäten, einfach unter Vorlage des DDR-Personalausweises, in die CSSR fahren dürfen und somit auch auf dem ganz kurzen Weg von Leipzig nach Prag. Ein gefundenes Fressen für eine deftige Überraschung......... Also setze ich mich am Vorabend der Nacht, in der Anne in Prag ankommen soll in einen Zug, der mich meinerseits nach Prag bringt. Ich will dort warten, bis der „Balt – Orient“ (oder wie wir später im Hinblick auf das Flohpulver in der Waggons der CFR – rumänische Eisenbahn - zu sagen pflegten „Baldrian- Express“) auf dem bewußten Bahnsteig des Prager Mittelbahnhofs einläuft. „Hoffentlich ist er pünktlich !!!“ - Das ist meine Sorge in dem Moment, denn ich kann es vor Spannung kaum noch aushalten. Immerhin habe ich das geliebte Mädchen seit fast einem Jahr nicht gesehen – wer wollte das nicht verstehen....... . 
Und dann kommt er, der Zug meiner Sehnsucht. Ganz schnell suche ich mir den Waggon, steige ein und nun ist die Spannung am Bersten. Wird sie drinsitzen, wird alles geklappt haben ???? Bange Minuten, viele Fragen und dann schiebe ich die Tür zu ihrem Abteil auf....... Für den ersten Moment will sie mich gar nicht erkennen, ist es doch wirklich ziemlich verrückt – da wird eine junge Frau mitten in der Nacht auf einem fremden Bahnhof von dem
Menschen überrascht, den sie erst am nächsten Morgen in Leipzig sehen wollte. Aber dann liegen wir uns nur noch in den Armen und wissen gar nicht, was wir uns alles erzählen sollen. Wir sind beide überwältigt, ein wenig müde, aber glücklich. Und so verbringen wir die Fahrt nach Leipzig aneinander gekuschelt und sind zufrieden, dass wir einander haben. 
Leipzig ist natürlich der große Schock für Anne. Schon der Bahnhof, immerhin der größte Kopfbahnhof Europas, ist überwältigend, aber viel schlimmer ist der Gestank, der über der Stadt liegt. Man muß wissen, dass Leipzig mindestens von drei Seiten eingeschlossen ist von den Industrie- und Chemie-Zentren der DDR. Egal, woher der Wind weht – es stinkt immer! 
Kein Wunder, dass Anne es nur unter Kopfschmerzen in dieser Stadt aushalten kann. Und dabei hatte ich mir doch damals eingebildet, dass unsere gemeinsame Zukunft in Leipzig liegen könne, einfach, weil ich diese Stadt lieb gewonnen hatte – trotz aller Widrigkeiten. Nun, ich stelle Anne einigen meiner engeren Studienfreunde vor, ich nehme sie auch mal mit in das Krankenhaus „St. Georg“, wo ich mir meine „Brötchen“ als Krankenpfleger verdiene, um ein wenig unabhängiger zu sein von den 50.- M /DDR, die ich als monatliches Stipendium bekomme, und dann schauen wir, dass wir die Stadt so schnell, wie möglich, verlassen können. Wir machen uns auf den Weg nach Norden, nach Salzwedel, wo meine katholische Großmutter nach ihrer Vertreibung aus dem Sudetenland mit zwei Schwestern meines Vaters nebst Anhang lebt. Die freuen sich alle mächtig, dass der Student mal vorbeikommt, auch wenn er ausgerechnet evangelischer Pfarrer werden will, und noch mehr, dass er seine künftige Frau mitgebracht hat. Und dann kommt die große Herausforderung für Anne: Salzwedel liegt in der Altmark und dort ist alles flach und eben – Radfahrerland. So muß auch Anne gezwungenermaßen einen solchen Drahtesel besteigen und versuchen, sich mit Hilfe dieses Vehikels vorwärts zu bewegen. Zu Fuß sind die Wege etwas weit. Man erspare mir Details – ich bin heute, nach über 40 Jahren, noch heilfroh, dass sie das ohne Schaden überstanden hat.............. .
Weiter führt uns unsere DDR-Rundreise nach Oelsnitz. Schließlich sollen die Eltern ihre künftige Schwiegertochter auch endlich kennen lernen. Man „beschnuppert“ sich ein wenig und dann ist die Aufregung auch schon vorbei. Man kennt sich jetzt, hat den gleichen Stallgeruch und nun können wir richtig Pläne schmieden. Auch diese „Hürde“ ist genommen.............. 
Nach einigen Tagen in meiner Heimat beschließen wir, dass wir unsere Verbindung öffentlich machen möchten. Wir feiern Verlobung. Damals ist das noch so üblich. Die Verwandten und Bekannten werden informiert und dann gibt es kein Zurück mehr.......... 
Ein paar Oelsnitzer Verwandte sind anwesend, von da und dort kommt auch ein kleines Geschenk, (eins sogar aus Amerika – Handtücher aus New York von Norma und Hermann, meiner Cousine und ihrem Mann die wir erst viele Jahre später kennenlernen dürfen, als die DDR längst Geschichte ist. - Die Handtücher trocknen heute noch) aber von nun an tragen wir an der Hand einen – wenn auch nicht ganz echten – Goldring zum Zeichen, das wir einander gehören. (SilGo – nannte man die „Eheringe für Arme“, weil es in der DDR goldene Ringe nur gegen Abgabe von Altgold gab.....). Wir sind trotzdem froh und sind glücklich, wie die Kinder. Leider ist auch die Zeit in Oelsnitz schnell vorbei und es wir Zeit, nach einem nochmaligen Abstecher in Leipzig, die Fahrt nach Siebenbürgen anzutreten.  
Dort empfängt man uns, als hätte es niemals eine Zeit vor unserer Zweisamkeit gegeben.  Annes Eltern haben sich mit dem Gedanken versöhnt, ihre älteste Tochter in die Ferne ziehen zu lassen, denn für uns ist klar, die Zukunft liegt in Deutschland, damals noch DDR. Natürlich muß die Sache mit der Verlobung auch in Martinsdorf offiziell gemacht werden und was bei uns ein rein ziviler Akt ist, wird dort schon etwas amtlicher aufgezogen........ 
Wir werden zur „Betstunde“ in das Pfarrhaus bestellt. Das bedeutet, wir haben ein Gespräch mit dem noch recht jungen Ortspfarrer, unserem späteren und jetzigen lieben Freund Alfred Hermann. Und der nimmt uns schon in' s Gebet!! Im nächsten Sonntagsgottesdienst werden wir als Brautpaar „präsentiert“ und nur weil ich Theologiestudent bin und Anne Kantorenschülerin ist, dürfen wir gemeinsam auf der Orgelempore den Gottesdienst erleben. Ansonsten hätten wir getrennt sein müssen – Anne bei den „Jungfrauen“ unten in der Kirche und ich bei den „Burschen“ oben auf der Seitenempore mit bestem Ausblick auf die Schönheiten des Dorfes. Na, gut war es, wie es war. Für mich in jedem Falle ungewohnt. Später kommen dann im Hause Löprich die Jugendfreunde von Anne zusammen, auch die Verwandtschaft ist eingeladen und für mich beginnt eine Zeit des großen Rätselratens: Wer ist hier eigentlich mit wem und in welcher Art und Weise verwandt. Es gibt Erwachsene und Kinder und jeder hat ein gutes Wort. Die Zahl der Menschen, die uns Glück wünschen, ist schier unüberschaubar. Dass es noch „schlimmer“ kommen kann, soll ich ein Jahr später erst erfahren, als wir dann Hochzeit halten..... 
Zwischendurch stehen uns Aufgaben in' s Haus, die ich heute nicht noch einmal erledigen möchte.  
Um irgendwann einmal heiraten zu dürfen, brauchen wir die offizielle Genehmigung der beiden Länder, aus denen wir kommen – ein Art „Internationales Aufgebot“ also. Natürlich haben wir zunächst keinerlei Ahnung, wie das alles geht und in die DDR wollte auch noch keiner aus dem Bekanntenkreis heiraten, also laufen wir zunächst wie die blinden Hühner durch einige Behörden in Hermannstadt und überall bekommen wir zu hören: „Warten Sie zuhause, es wird sich alles regeln“: Nach etwa einer Woche sind wir verzeifelt, aber noch keinen Schritt weiter: „Warten Sie zuhause!!“ - ist das, was wir regelmäßig zu hören bekommen von den Frauen und Männern, die uns an irgendwelchen Büroschaltern gegenüber sitzen, großspurig „Kent“ rauchen und sich mit uns nur durch eine Art Guckloch in einer Glasscheibe unterhalten. Es ist wie auf dem Bahnhof bei der Fahrkartenausgabe, nur unpersönlicher. Da läuft uns auf dem Korridor einer Hermannstädter Behörde ein gediegen aussehender Mann mittleren Alters über den Weg und sagt uns: „Ich habe Euch jetzt schon ein paar Tage lang beobachtet – es kann nicht sein, dass man Euch so umherlaufen lässt -ich helfe Euch. Ich bin Rechtsanwalt Lionel Blaga.“ 
Und nun geht alles ganz schnell. Plötzlich haben wir jede Menge Formulare in der Hand und er hilft uns persönlich, alle Rubriken auszufüllen. Ich bin mir sicher, den Mann hat uns der liebe Gott in die Quere geschickt. Denn hätten wir ihn nicht getroffen, würden wir wohl heute noch in wilder Ehe leben, wenn denn überhaupt.......... .
Nun beginnt wieder die Zeit des Wartens. Die Behörden in Oelsnitz verlängern mir aller drei Monate meine Heiratsgenehmigung, aber in Rumänien will es nicht vorwärts gehen. Was sollen wir tun ? Irgendwann beginne ich damit, mich gegen diese Art der Bürokratie zu wehren. Aber das ist die nächste Geschichte.....................