„Studium ex – Amen“ !- so lautet das Telegramm, das ich meinen Eltern Mitte Juli 1973 nach
Oelsnitz schicke. 14 Semester – 7 lange Jahre – Theologiestudium habe ich hinter mir. Was ist in
dieser Zeit alles geschehen: Der Abriss der Uni-Kirche in Leipzig, das Jahr 1968 mit seinen
studentischen Unruhen im Westen Deutschlands und dem Einmarsch der Warschauer
Vertragsstaaten in der CSSR,die erste Mondlandung der Amerikaner, der Kniefall von Willy Brandt
in Warschau, meine Zeit als Pfleger im Krankenhaus, die Reisen nach Rumänien, das
Eisenbahnunglück bei Schweinsburg-Culten, wo ich im dritten Waggon saß – um nur ein paar
markante Punkte aufzuzählen.
Obwohl ich wegen meiner politischen Einstellung nicht zum Abitur zugelassen war, keine
„Erweiterte Oberschule“ besuchen durfte, habe ich es geschafft. Die alten Sprachen, Latein,
Griechisch, Hebräisch sind bewältigt – mehr oder weniger gut. Ich denke an das Hebraicum, das ich
mit viel Geschick und dem Fundus von immerhin 3 – 4 Vokabeln mit Note 1 b geschafft habe. Das
war unter anderem dem guten Pfarrer Steyer zu verdanken, dem Sprachgenie am Theologischen
Seminar. Der saß bei der mündlichen Prüfung hinten in der Prüfungskommission und hat heimlich
geflüstert.... Er hat wohl gewußt, wie beliebt Hebräisch bei den Studenten war. Er selber war
„Grieche“.
Den schriftlichen Text hatte uns unfreiwillig der Dr. Hermann, unser Alttestamentler, verraten,
indem er uns ein Schlüsselwort gegeben hatte. Die restlichen Prüfungen im Alten und Neuen
Testament, in der Predigtlehre, der Dogmatik, Missionsgeschichte und wie die Fächer sich alle
nannten, sind vorüber. Nun spielt die Prüfungsangst keine Rolle mehr !
„Studium ex – Amen“.
Vorbei die Anspannung vor den Examina, der schwarze Anzug darf im Schrank in der
Studentenbude Platz nehmen.
Mutter kommt nach Leipzig, läßt sich von mir mal ganz vornehm ausführen und bezahlt die
Schmiere auch noch... . Das tut gut !
Es ist ein Stück neues Leben – wenn da nicht noch das Problem mit der Heiratsgenehmigung wäre ... . Ich löse meine „Bude“ in Leipzig auf, indem ich mir „Postmietbehälter“ - das sind große stabile
Kartons – bei der Post (wie der Name schon sagt) ausleihe, mein Hab und Gut darin verstaue, die
Bücher, die Schallplatten, alles eben, was nicht in den Koffer geht, und dann nix wie fort nach
Martinsdorf zu Anne!
Immerhin sind dies die letzten unbeschwerten großen Ferien. So schön wird es nie wieder! Soviel
weiß ich. Im Herbst soll ja das Vikariat in Plauen beginnen und dann wird es ernst....
Also: Nochmal durchatmen und den Tag genießen. Wir beide, Anne und ich sind froh, dass wir
wieder beieinander sind und freuen uns unseres Lebens. Die nicht vorhandene Heiratsgenehmigung
haben wir schon fast vergessen. Wir fahren mit dem Bus zu Suni und Helmut, die mit der kleinen
Agathe in Großschenk wohnen. Die haben da ein schönes Haus, Helmut hat es als Maurer gut auf
„Vordermann“ gebracht und so läßt es sich leben ... .
Bis eines schönen Morgens Suni ganz aufgeregt in unser Schlafzimmer stürmt:
„Ihr dürft heiraten, die Genehmigung ist da!“
Die Eltern aus Martinsdorf haben über die Postzentrale nach Großschenk angerufen und die
Mitteilung gemacht. Nun aber ganz schnell ! Tasche packen und ab nach Martinsdorf.
Herzklopfenderweise kommen wir dort an und halten ein offizielles Schriftstück in der Hand:
Innerhalb der nächsten 3 Wochen haben wir vor einem rumänischen Standesamt die Ehe zu
schließen, andernfalls erlischt die Genehmigung.
Bis dahin gibt es aber nun noch eine Menge zu tun. Ein Termin für das Standesamt muß gefunden
werden. Wir beschließen, die standesamtliche Trauung auf dem Dorfrathaus von Mihaileni zu
beantragen. Anne hat da einen entfernten Verwandten, der ist Vizebürgermeister, spricht deutsch
und hat das Recht, uns zu verheiraten. Den Termin legen wir fest auf den 09. August 1973 im
Gemeindeamt Mihaileni, ungefähr 5 Kilometer von Martinsdorf entfernt.
Aber noch viel wichtiger ist, einen Termin für die kirchliche Trauung zu finden. Es sollen ja auch von meiner Seite Leute eingeladen werden, die mir bei dem wichtigen Schritt in's Eheleben beistehen. Die Eltern sollen kommen, Freunde aus Oelsnitz und Umgebung,
Studienkollegen aus Leipzig, die Tante aus der Altmark, Verwandte aus Oberfranken und Jan aus
Tschechien. Insgesamt sind es wohl ein paar zwanzig Menschen, die wir einladen wollen. Ganz wichtig ist auch das Hochzeitskleid für Anne und der Anzug für mich. Tracht geht nicht, da
ich kein Siebenbürger bin, also bleibt nur „bürgerlich“. Aber wir haben buchstäblich nichts. Die
Eltern müssen alles mitbringen. Manches kann dann doch noch vor Ort ergänzt werden, aber
es wird schon eine Improvisation ... . Telegramme gehen hin und her, von Martinsdorf nach Oelsnitz und zurück, Listen werden
geschrieben, Besorgungen müssen erledigt werden und das alles ohne Auto .... . Mit dem Ortspfarrer vereinbaren wir Sonntag, den 19. August 1973 für die kirchliche Trauung.
Annes Eltern fahren am Limit, denn es sind insgesamt etwa 300 Personen zur Hochzeit einzuladen
und das bedeutet, alle Lasten der Beköstigung, Unterbringung und Betreuung der Gäste ruhen auf
ihnen. Die Leute aus Deutschland können mangels Erfahrung herzlich wenig beitragen. Ein Wunder
wird sein, wenn alle überhaupt pünktlich anwesend sein werden. Immerhin dauert die
Bearbeitungsfrist für eine Reisegenehmigung in der DDR mindestens 14 Tage. Später erfahren wir dann, dass es auf dem Polizeiamt in Oelsnitz eine offizielle Dienstanweisung
gegeben hat. „Wer zu der Hochzeit von dem Schierl nach Rumänien will, bekommt seine Reisebewilligung
innerhalb von 24 Stunden!“ Ein Glück aber auch !
Und dann kommt der 9. August - der Tag der standesamtlichen Trauung.
Heinrich Schobel, der Kutscher auf der Staatsfarm, hat die Pferdchen eingespannt, die Kutsche
geputzt und fährt vor dem Elternhaus von Anne vor, um uns nach Mihaileni zu kutschieren. Zum
Glück hatte ich mir wenigstens einen leichten Sommeranzug eingepackt und Anne hat einen
schicken Hosenanzug, so sind wir halbwegs „in Form“ für diesen wichtigen Akt, der uns so viel
Zeit und Kraft gekostet hat. Der Nachbar, Klaus Thalgott, der „Herr Ingenieur“, wie Annes Mutter
ihn nennt, hat seine russische „Isch“ - das ist so ein uriges, tuckerndes, „handgeschmiedetes“, wohl
mit Hammer und Sichel gebautes Motorrad mit Beiwagen – flott gemacht, besteigt dieses und läßt
den Vater Hans mitsamt einem 5-Liter-Krug voll Wein im Beiwagen Platz nehmen. Die beiden
sollen unsere Trauzeugen sein und mit dem Wein soll später die Anspannung „gelöscht“ werden.
Ab geht die Post in Richtung Standesamt. Uns beiden „Deliquenten“ fällt nichts besseres ein, als
auf unserer Kutsche das schöne Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ anzustimmen. War es
jugendlicher Leichtsinn, war es die Freude, es endlich geschafft zu haben oder haben wir vielleicht
gar nicht kapiert, was wir da zu tun im Begriff waren ??? Herr Wagner, der Standesbeamte, empfängt uns im Rathaus zu Mihaileni. Auch er hat sich festlich
gekleidet, er trägt zu seinem Holzfällerhemd die blau-gelb-rote Schärpe in den rumänischen
Nationalfarben. Seine Rede fällt zum Glück kurz und schmerzlos aus. Er muß uns freilich von der
„kleinsten Keimzelle der sozialistischen Gesellschaft“, der Familie etwas erzählen, aber wir alle
haben das Gefühl: Nun reicht es, laßt uns die Sache mit den Unterschriften beenden, damit wir zum
Kernpunkt kommen, und das ist nun mal der Krug mit dem Wein, der seitlich vom Schreibtisch
steht. Wir stoßen miteinander an, alle wünschen uns Glück und der Herr Wagner zieht mit dem Rest
vom Wein fröhlich seiner Wege.
Die Rückfahrt ist genau so fröhlich, wie die Anreise und nu sind wir ganz hochoffiziell ein Ehepaar.
Freilich hat Anne noch mit ihrem Mädchennamen unterschreiben müssen, aber das ist nun
Vergangenheit, es beginnt etwas völlig Neues .... wir sind vor dem Gesetz verheiratet, allen
Widrigkeiten zum Trotz!
Für großartige Feierlichkeiten ist nun keine Zeit mehr. Es bleiben uns noch genau 10 Tage bis zur
„eigentlichen Hochzeit“. Diese Tage näher zu beschreiben übersteigt im Nachhinein das Vermögen des Chronisten. Es sind so unendlich viele Details zu bedenken und zu bewerkstelligen. Schließlich soll alles gut sein, man möchte sich auch sehen lassen können mit dem, was man da auf die Beine stellt. So bleibt uns, Anne und mir, die Aufgabe, uns um die Dinge am Rande zu kümmern.
Inzwischen ist Hug mit seiner Frau Monika eingetroffen, mein lieber Kommilitone aus Leipzig und
nun haben wir auch ein Auto zur Verfügung. Es ist ein alter „Moskwitsch 408“, aber er fährt und
wir sind etwas beweglicher. Benzin gibt es zu der Zeit noch und so können Besorgungen nunmehr
per Auto gemacht werden.
Jeden Tag kommen neue Gäste. Die Eltern reisen an und bringen Brautkleid und Anzug mit. An
alles haben sie gedacht. Mutter hat ihr eigenes Hochzeitskleidaus Plauener Spitze ausgegraben, das
sie 30 Jahre vorher selber getragen hat, mein schwarzer Anzug ist auch da, selbst an die „Fliege“
haben sie gedacht, aber was wir nicht haben, ist ein Schleier und ein Unterkleid für die Plauener
Spitze ... . Da kommt uns sehr entgegen, dass Reisen schlau macht. Gertrud muß helfen! Gertrud ist die Tochter des Pfarrers von Pretai, die vor wenigen Wochen selber geheiratet hat. Ich
habe sie bei der Anreise im Zug kennengelernt und irgendwie hatte sie mir erzählt, dass sie genau
die Utensilien daheim hat, die uns nun schmerzlich fehlen. Also auf nach Pretai, Unterkleid und
Schleier holen. Von Gertruds Vater, Pfarrer Müller, werden wir freundlichst empfangen und er
bietet mir sogar an, mich für eine Pfarrstelle in Oesterreich vorzuschlagen. Der Gute .......
Aber das Beste am Pfarrhaus von Pretai ist das sogenannte „Mehrschissige Klosett“ - das hatte ich
bisher noch nicht gesehen: Ein Stilles Örtchen mit zwei Öffnungen nebeneinander, so dass man sich
beim „Geschäft“ auch noch über's „Geschäft“ unterhalten kann. Auf das Probesitzen habe ich bis heute verzichtet.
Ganz wichtig ist auch die Frage des Hochzeitsstraußes. Anne wünscht sich Nelken. Also fahren wir
nach Hermannstadt zum Blumenladen. Immerhin sind es gute 60 km teilweise abenteuerliche
Straße, aber der „Moskwitsch“ macht das schon. Wir fahren einmal, wir fahren zweimal und auch
dreimal. Am Ende werden wir doch fündig. Es ist zwar nicht das Gebinde, das wir gern wollten,
eher etwas rustikal, aber wir haben einen Strauß. Nun muß der nur noch halten bis zum großen
Tag ... .
Wie gesagt, kommen jeden Tag neue Gäste aus den beiden Deutschlands an. Die Westler kommen
mit dem „Wiener Walzer“, dem Schnellzug aus der gleichnamigen Donaumetropole und müssen in
Hermannstadt abgeholt werden. Die „Ostler“ kommen mit dem „Baldrian“-Express direkt aus
Leipzig bzw. Berlin oder Dresden und steigen in Mediasch aus. Die jungen Leute sind fündig und
suchen sich die Busverbindung nach Martinsdorf alleine, Tante Lori und Frau Wetzel wollen wir
jedoch abholen.
Der „Herr Ingenieur“ spannt noch einmal seine Russen-Isch ein und wir fahren dem Zug entgegen
bis nach Blasendorf. Dort wollen der Vater Hans und ich einsteigen, die beiden Frauen suchen und
in Mediasch aus dem Zug geleiten. Klaus soll dort schon mit dem Motorrad warten und das Gepäck
aufnehmen, wir sollen dann mit dem Bus nachkommen. So weit der Gedanke, und der ist auch ganz gut, nur haben wir die Rechnung ohne den Wirt
gemacht. Die beiden erwarteten Frauen sind nicht an Bord des Zuges. Dafür kommen sie einen Tag
später auf abenteuerliche Weise in Martinsdorf per Bus an. Auch sie haben es geschafft!
Genau wie Peter mit seiner Frau Marlene, die zusammen mit Marlenes Bruder nebst Frau mit zwei
Trabis anreisen sollen. Irgendwo in den Westkarpaten haben sie sich derart „verfranst“, dass sie meinen, irgendwo in der
Taiga zu sein. In einer Zeit ohne Navigationshilfe, mit ganz viel Sprachproblemen und
mangelhaftem Landkartenmaterial eine logistische Meisterleistung.
Kleine Dinge am Rande, die eine solche Feier erst interessant machen ... .
Uns jedenfalls wird nicht langweilig. Zum Glück spielt das Wetter mit und unsere lieben Gäste
können sich – soweit sie nicht zu Handlangerarbeiten herangezogen werden – selber beschäftigen.
Die Tage vergehen und schließlich kommen die Vorbereitungen in die „Zielgerade“.